Nicht kompatibel mit der Zunft

KEIN REGIETHEATER Daniel Kehlmann, Kritiker des Regietheaters, schrieb „Geister in Princeton“, Premiere im Renaissance-Theater

Als Kritikerin kann man schon manchmal in Zwangslagen kommen. In Aufführungen, die einen an den Rand der Berufsunfähigkeit führen. Zum Beispiel Sonntagabend im Renaissance-Theater, wo man der deutschen Erstaufführung von Daniel Kehlmanns Dramatikerdebüt „Geister in Princeton“ gefolgt ist und am Ende mit allergrößter Skepsis den jugendlichen Dramatiker selbst hochzufrieden beim tosenden Applaus inmitten der Schauspieler sich verbeugen sah. Wer ist da jetzt im falschen Film, denkt man da. Die Kritikerin? Das Publikum?

Die Irritation ist besonders groß, weil Daniel Kehlmann im Sommer 2008 in Salzburg mit einer Rede unangenehm aufgefallen war, in der er das Regietheater als degenerierte, letzte verbliebene „Schrumpfform linker Ideologien“ geißelte. Sollte also die museale Inszenierung von Torsten Fischer samt ihrer klischeehaft kostümierten (und spielenden) Akteure jetzt die Alternative sein? Der ansonsten geschätzte Gerd Wameling zum Beispiel als Albert-Einstein-Abziehbild mit angeklebtem Schnurrbart, brauner Hotzenplotz-Joppe und wuschiger Einstein-Karnevalsperücke? Über einige seiner Mitspieler (ihre Pomadefrisuren und ihr überkandideltes Spiel) möchte man eigentlich den Mantel des Schweigens bereiten. Ausgenommen Heikko Deutschmann vielleicht als (allerdings deutlich zu cooler) Kurt Gödel und Dimosthenis Papadopulos als dessen bluesbrotheriges Alter Ego. Und Katja Belllinghaus, die in der Rolle der Adele Gödel am Ende fast zu tragischer Größe aufläuft.

Bei der Lektüre des Stückes war man noch zu allerlei Gedanken angeregt worden: Ja, dachte man zum Beispiel, der Wissenschaftler ist schon zu Recht eine paradigmatische Figur des Dramas im 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts. Erst recht eine Figur wie der österreichische Mathematiker Kurt Gödel, für den die Gestalt der Welt und ihre Verfasstheit nicht mehr kompatibel mit den Lehrsätzen seiner Zunft waren. Und der als Logiker nicht an die Naturgegebenheit eines linearen Zeitverlaufs und daher an Gespenster glaubte, als die auch längst Verblichene immer noch anwesend bleiben.

Doch Daniel Kehlmann mitunter so luzide gedachte und dann so freundlich komödiantisch auf intelligentes Boulevardtheaterformat heruntergerechnete Wissenschafts-Sentenzen bekommen in Torsten Fischers krachlederner Inszenierung einen derartig muffigen Grundton, dass man dem Verlauf des Abends immer wieder fassungslos folgt. Es beginnt mit einer Beerdigung. Gödel ist tot – hat sich im Wahn, man wolle ihn vergiften, zu Tode gehungert – und in der Universität seines Exilorts Princeton aufgebahrt. Wir schreiben das Jahr 1978, und irgendwelche schrillen Chargen finden sich zur Trauerfeier ein. Doch Gödel ist nicht tot, so wollen es der Plot und die Gödel’sche Theorie, dass eben nichts enden kann, weil es keine Zeit gibt.

So durchleben zeitgleich drei Gödels (darunter Junge im Matrosenanzug) dieses tragische Leben noch einmal. Das hätte nun ein theatralisches Vexierbild werden können, eine Feier des Absurden, das Gödel in aller Logik aufgespürt hat. Und im Leben sowieso. Das Medium Theater, in dem Kehlmanns Geister auf der Bühne wirklich Gestalt annehmen können – es wäre eigentlich wie geschaffen für so ein Ineinander von Raum und Zeit. Aber der Regisseur wirft dem Affen Publikum von der mulchbedeckten Bühne mit dem Riesenspiegel im Hintergrund nur holzklotzgroße Zuckerstücke zu. Und vorne tummeln sich Figuren wie aus einem historischen Kasperletheater.

Ach, wie gerne hätte man dieses Stück doch als Schrumpfform linker Ideologien erlebt.

ESTHER SLEVOGT

■ Bis 15. Januar + 9.– 12. Februar, tägl. 20 Uhr