In der Springer-Passage
: Fieber-Flashback

Der ganze Raum fühlt sich an wie ein Aquarium

Mein Kopf ist Brei, ich werde krank werden, das ist total klar. Ich habe kaum geschlafen und muss um halb sieben aufstehen, um zur Arbeit zu fahren, es ist so früh, dass im Dönerladen noch der frische Eisblock am Spieß hängt, nur bei Kamps ist Vollbetrieb, wie immer.

Nach der taz-Schicht sollte ich ins Bett, will aber unbedingt noch diesen PostIdent-Schein abgeben. Den PostIdent-Schein! Ein Anruf ergibt: die nächste PostIdent-fähige Filiale ist in der Axel-Springer-Passage. Die Glaswurst, wo man von draußen Medienleuten bei der Arbeit zusehen kann. Tausendmal dran vorbeigefahren, nie dringewesen. Und jetzt, ausgerechnet, weil ich zur Ethikbank wechseln will.

Drinnen ist es supersurreal. Oder bin ich das? Der ganze Raum fühlt sich an wie ein Aquarium, leer, leise, gedämpftes Licht, man ist drinnen und draußen zugleich, wobei ich nicht weiß, ob es die Vorteile oder die Nachteile beider Zustände kombiniert. Im TV.Berlin-Nachrichtenstudio steht ein älterer Herr und wartet auf seinen Einsatz. Er ist ganz allein. Dann stehe ich auf einmal mitten in der Wortspielhölle. Die Bar heißt „MittelBar“, das Bistro „DeliNews“. In der Sat.1-Kantine roch es exakt so wie hier. Olfaktorischer Flashback.

Beim Kiosk „Concierge“ bringe ich meinen PostIdent-Schein auf den Weg. Alles passiert sirupzäh. Im Fieberwahn muss ich auf einmal unbedingt noch Briefmarken kaufen. Wohlfahrtsbriefmarken! Diese, wo man 25 Cent pro Marke extra zahlt. Ich frage, für welche Hilfsprojekte das Extrageld bezahlt wird. Verlegenes Stammeln. Na ja, so Kinder… sozial… Auch auf den Lieferzetteln steht nichts, aber da, der eine Mitarbeiter hat es herausgefunden: hier, für Rechenhilfe. Aha, Rechenhilfe! Das ist ja auch wichtig heutzutage. Aber nein, der Zettel ist eine Rechenhilfe für die Mitarbeiter. Egal, ich kaufe diese Briefmarken. Ich muss wirklich ins Bett.

MICHAEL BRAKE