Verschollene Schiffe

Wäre das Gemälde besonders wertvoll gewesen, hätte sich zumindest die Motivlage des Täters erschlossen. Dies war aber mitnichten der Fall: Die unglaubliche, höchst rätselhafte Geschichte eines 15 Jahre zurückliegenden Kunstdiebstahls im Westwerk, der wohl nie aufgeklärt werden wird

von Christine Schams

So bedauerlich es auch ist: Der Diebstahl von Kunstwerken ist heutzutage fast alltäglich. Auch wenn die wertvollen und weltberühmten Gegenstände meist so gut wie unverkäuflich sind. Erst kürzlich wurde das Museum im niederländischen Hoorn um mehrere millionenschwere Werke niederländischer Maler aus dem 17. Jahrhundert erleichtert. Und 1994 ließ sich der Dieb in einem der spektakulärsten Fälle von Kunstraub auch nicht durch die aufheulende Alarmanlage davon abhalten, Edvard Munchs Der Schrei in der Osloer Nationalgalerie an sich zu bringen.

Warum aber wird ein Gemälde gestohlen, das weniger einen materiellen, als einen ideellen Wert hat und als Motiv Segelschiffe am Hafen darstellt – ein Sujet, wie es für Hamburg klassischer nicht sein könnte? Diese Fragen beschäftigen die Künstler des Westwerk e. V. seit rund 15 Jahren. Damals stahlen Unbekannte aus dem Treppenaufgang im Gebäude in der Admiralitätstraße 74 ein Gemälde, das bis heute nicht wieder aufgetaucht ist. Das Werk, ein etwa ein mal ein Meter großes Ölgemälde, war Bestandteil der innenarchitektonischen Holzvertäfelung in dem Gebäude der ehemaligen Sprinkenhofanlage, das seit Ende der 80er Jahre an das Westwerk vermietet ist.

Nun ließe sich der Gemäldediebstahl, so bedauerlich der Vorfall auch ist, schlicht unter der Kategorie „Kunst und Klau“ verbuchen, würde es sich dabei um einen wertvollen Gegenstand handeln. Kurios an der Geschichte ist allerdings, dass die Diebe bei ihrem Coup nebst Gemälde auch gleich einige der beige-grünen Jugendstilkacheln aus dem alt-hanseatisch gestalteten Treppenaufgang mitnahmen. Anscheinend handelt es sich dabei um bis heute begehrte Liebhaberobjekte, denn auch die von Westwerk-Künstlerin Sabine Siegfried entworfenen Kachelreproduktionen wurden wieder gestohlen.

Der Diebstahl wundert die Künstler bis heute: „Wer entwendet ein Gemälde, das so klassisch ist, und nimmt dann auch noch Kacheln mit?“, fragt Sabine Siegfried. Auch der Tathergang gibt Rätsel auf. Denn obwohl es keine Hinweise gibt, scheint sicher: Raffiniert wie der legendäre Meisterdieb Thomas Crown waren die Diebe im Westwerk sicher nicht. Und das mussten sie auch gar nicht sein. Im Gegenteil: Unbehelligt konnten sie in das Gebäude eindringen und ungehindert das Bild entwenden, für das es, da es nicht wertvoll war, keine Alarmanlage gab. Und die Tür zum Gebäude stand offen, „vermutlich, weil zu dieser Zeit ein Konzert stattfand“, spekuliert Sabine Siegfried. Für ihren Coup brauchten die Diebe daher vor allem Handwerkszeug: eine Leiter, um das Gemälde aus der Holzvertäfelung in gut zwei Metern Höhe zu lösen, und für die Kacheln Hammer, Meißel und etwas Fingerspitzengefühl.

Die blanken Klinkersteine in der Holzvertäfelung an der Stelle wo einst das Seegemälde hing, nutzen die findigen Westwerk-Künstler nun seit knapp zwei Jahren als Ausstellungsort. Im Rahmen der Reihe mit dem nahe liegenden Titel „zwischenraum“ rufen sie KünstlerInnen auf, hierfür Ideen zu entwickeln. 2003 startetet die Reihe mit Peter Boué, der die Lücke mit einer gezeichneten Hafenszene füllte. Christoph Rauch wiederum, der den „zwischenraum“ im vorigen Jahr gestaltete, versuchte die Historie des Gebäudes mit der des Westwerks zu verbinden. Für Rauch stand dabei nicht nur das leere Bildfeld im Treppenhaus zur Diskussion, sondern auch der verschlossene Raum, zu dem der Aufgang führt und den die Westwerk-Künstler bis dato als Versammlungs- und Abstellraum nutzten. In seinem Projekt „Der Raum zur Treppe“ hat er die rund 40 Werke der Westwerk-Künstler sortiert und in einer eigens konzipierten, wabenartigen Konstruktion aus Recyclingmaterial im Wandschrank des Büros untergebracht. Mit Register und einer Fotodokumentation erschließt sich so nun erstmalig die ganze Arbeit des Westwerks. In dem Raum, der derzeit renoviert und funktional erweitert wird, soll künftig der bislang mobil betriebene Room for Northeast Reading stattfinden, eine von der Hamburger Projektgruppe initiierte Veranstaltung.

Das Loch in der Wand indes hat Christoph Rauch mit einem Holzrahmen gestaltet: Auf die freigelegten Klinker hat er ein nicht identifiziertes Werk aus der Westwerk-Sammlung gehängt. Daneben steht mit weißer Kreide geschrieben: Wer kennt den Maler?

Diese Frage jedoch, so vermutet Christoph Rauch, werde ebenso ungeklärt bleiben, wie die nach dem gestohlenen Bild. Denn während die meisten der gestohlenen Kunstwerke nach einigen Jahren wieder auftauchen, bleibt das Ölgemälde aus dem Treppenhaus der Admiralitätstraße wohl für immer verschollen. Vermutlich auch, weil der Diebstahl wegen der damals umstrittenen und wechselhaften Mietverhältnisse nie offiziell zur Anzeige gebracht wurde. „Wahrscheinlich wurde es auf einem Flohmarkt verkauft“, spekuliert Sabine Siegfried. Aber vielleicht, so überlegt ihr Kollege Matthew Partridge, nimmt sich ja auch ein Künstler dieses Sujets an und malt eine Reproduktion. Zu hoffen bleibt dann nur, dass diese Reproduktion dem Westwerk länger erhalten bleibt als die Kachelnachbildungen von Sabine Siegfried.