Schöne Sachlichkeit

Der SV Werder Bremen nimmt nach einem minimalistischen Auftritt drei Punkte aus Hamburg mit

HAMBURG taz ■ Irgendwann in der ersten Halbzeit des Nordklassikers zwischen dem HSV und Werder Bremen ging ein Schneeregenschauer auf die Akteure nieder, und ungefähr so erquicklich wie diese Kapriole des Aprilwetters war das spielerische Niveau des Derbys, das der Deutsche Meister verdient mit 2:1 gewinnen sollte. Die Bremer können wieder Richtung Champions League schielen, der HSV dagegen blieb bei der Premiere auf neuem Rasen bereits das dritte Mal nacheinander ohne Sieg.

Ansehnlich war die Partie, für die die Hamburger einen so genannten Topzuschlag verlangt hatten, nur in kämpferischer Hinsicht. „Es war ein richtiges Derby mit viel Unruhe drin“, sagte Werder-Coach Thomas Schaaf. Da müsse man halt „auf das eine oder andere verzichten“. Deshalb seien schöne Kombinationen nur ab und zu aufgeflackert. Die ansehnlichste des gesamten Spiels, vom Mittelkreis über acht, neun Stationen laufend, schloss Ivan Klasnic in der 70. Minute mit dem Siegtreffer ab.

Schaafs Mannschaft hätte das Spiel schon in der ersten Halbzeit entscheiden können, doch nach Miroslav Kloses frühem Führungstor taten die Bremer gegen einen konzeptlosen HSV nicht mehr als nötig. Das hätte sich nach der Pause rächen können: Als der eingewechselte Mehdi Mahdavikia, von den Hamburger Verantwortlichen zuletzt öffentlich gescholten, bei seiner ersten Aktion traf, drohte Werder kurzzeitig die Übersicht zu verlieren. Doch dann „haben wir im richtigen Moment den Kampf angenommen“ (Schaaf).

Der SV Werder schenkte seinen 6.000 mitgereisten Fans zwar zwei Stürmertore von sachlicher Schönheit, verkörperte ansonsten aber nur glanzlose Souveränität. Die unspektakuläre, fast minimalistische Spielweise verkaufte der Bremer Coach als Ergebnis eines Lernprozesses: „Wir haben schon einige Spiele verloren, obwohl wir die bessere Mannschaft waren.“ Eine nennenswerte Schwachstelle hatte Werder nur links in der Defensive, wo Ludovic Magnin gegen Mahdavikia nicht bloß beim Gegentreffer schlecht aussah. „Das kann man nicht nur auf unseren Ludo schieben, da haben ihn die anderen auch allein gelassen“, sagte Schaaf.

Das vermeintliche Spitzenspiel dokumentierte unter anderem, wie abhängig die Teams von ihren jeweiligen Führungskräften sind. Während es Werder beispielsweise verschmerzen kann, wenn Johan Micoud Dienst nach Vorschrift verrichtet, läuft beim HSV ohne Sergej Barbarez, der nach seiner Roten Karte in Freiburg noch in zwei weiteren Spielen fehlen wird, in der Offensive fast nichts zusammen, denn Almami Moeira ist nur bemüht, und David Jarolim wird für immer ein biederer Kunsthandwerker ohne Effizienz bleiben. Und der andere Leithammel, der von den Folgen einer Grippe geschwächte Kapitan Daniel van Buyten, verschuldete das erste Tor und sah beim zweiten schlecht aus. „Ich habe unter der Woche nicht gut trainiert, das habe ich während des Spiels gemerkt“, sagte der belgische Auswahlspieler.

Über Personalprobleme wollten die Hamburger nach dem Spiel aber nicht reden. „Das wäre eine zu einfache Ausrede“, sagte Mittelfeldmann Stefan Beinlich, der aus vielen ruhenden Bällen, sonst eine Stärke des HSV, kein Kapital zu schlagen vermochte. Trainer Thomas Doll ergänzte: „Wir haben nicht verloren, weil vier, fünf Mann gefehlt haben, sondern weil uns die Abgeklärtheit fehlt, die Werder auszeichnet.“ Dennoch: In der entscheidenden Phase der Saison bewahrheitet sich, was im letzten Sommer so manche Experten geunkt hatten: Der Kader des HSV ist für einen Klub, der oben mitmischen will, viel zu dünn besetzt. Trotz des Rückstands wollte Doll am Samstag nach Mahdavikia keinen Spieler mehr einwechseln, denn auf der Bank saßen überwiegend Kicker aus der Regionalliga-Elf des Klubs. Zur Panik besteht allerdings kein Anlass: Die Serie hat für den HSV unerwartet katastrophal begonnen, und später hat er unerwartete Hochgefühle erlebt.

Jetzt droht der Hamburger Sportverein halt wieder dort zu landen, wo er seit Jahren zu Haus ist – in der Grauzone der Liga.

RENÉ MARTENS