Kein Zutritt für Siedler zum Tempelberg

Mit einem Großaufgebot und rund 20 Verhaftungen verhindert die israelische Polizei eine Protestaktion von Radikalen gegen den Abzug aus Gaza. Hoffnungen auf andauernde Waffenruhe nach der Erschießung von drei Palästinensern wieder gedämpft

AUS JERUSALEM UND GUSCH KATIF SUSANNE KNAUL

Die israelischen Sicherheitskräfte gehen kein Risiko ein. Mit einem Massenaufgebot von rund 3.000 Polizisten riegelten sie gestern die Jerusalemer Altstadt ab, nachdem jüdische Siedler angekündigt hatten, aus Protest gegen den Abzug aus dem Gaza-Streifen auf den Tempelberg zu pilgern. Allein weiblichen und über 40-jährigen Muslimen wurde Zugang zu der beiden Religionen heiligen Stätte gewährt.

„Polizeistaat, Polizeistaat“, erbosten sich junge jüdische Demonstranten über mehrere Festnahmen. Auch eine Gruppe palästinensischer Jugendlicher warf Steine auf die zum Teil berittenen Sicherheitsleute, weil die Polizei sie am Gebet in ihrer Moschee hinderte. Dem Chef der Hamas im Westjordanland Hassan Jussef war es gelungen, von der Polizei unbeachtet zum Tempelberg zu kommen. „Es sind Terroristen auf dem Berg“, schimpfte der jüdische Knesset-Abgeordnete Uri Ariel (Nationale Union), dem Polizisten den Zugang versperrten. Rechts-nationale Israelis hatten am Morgen zudem einen Verkehrsknotenpunkt bei Tel Aviv blockiert. 30 Menschen wurden verhaftet.

Hinter der geplanten Protestaktion am Tempelberg stand die radikale israelische Initiative „Revava“, die laut eigenem Programm den „jüdischen nationalen Stolz und die Werte retten“ will. Die Revava plante die Protestaktion für den Tag der Abreise von Premierminister Ariel Scharon in die USA. Scharon will heute mit US-Präsident George W. Bush auf dessen Ranch in Texas zusammentreffen.

Wäre es den Extremisten gelungen, den Tempelberg zu stürmen, so schrieb die liberale Ha’aretz gestern in ihrer Online-Ausgabe, „hätte das das Ende der (Waffen-)Ruhe zwischen Israel und den palästinensischen Terrororganisationen bedeutet“. Islamische Widerstandsgruppen hatten im Vorfeld der Aktion mit einer „dritten Intifada“ gedroht.

Hoffnungen auf eine andauernde Waffenruhe bekamen schon am Wochenende einen deutlichen Dämpfer, als israelische Soldaten drei Palästinenser im südlichen Gaza-Streifen erschossen. Die drei Jugendlichen hatten offenbar im Grenzgebiet Fußball gespielt. Nach Auskunft der Armee waren sie auf „die Grenze zu gerobbt“. Erst Anfang Februar hatten sich die beiden Konfliktparteien auf einen Waffenstillstand geeinigt.

Als Reaktion auf den Tod der drei Minderjährigen schossen Palästinenser bis gestern Mittag über 70 Mörsergranaten und Kassam-Raketen auf die jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen ab, ohne dass Menschen dabei Schaden nahmen.

Mosche Saperstein, der seit 1997 in Newe Dkalim wohnt, hat eine von „insgesamt 5.800“, die, wie er sagt, in den vergangenen vier Jahren auf die jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen abgefeuert wurden, „als Andenken“ bei sich aufgestellt. „Al Quds“ steht in arabischen Buchstaben auf der Rakete. Damit sei klar, dass „es dem Absender nicht um den Gaza-Streifen allein geht“. Der Abzug werde weder Ruhe noch Frieden bringen, glaubt der Endsechziger.

Die Tatsache, dass in der gesamten Zeit nur ein einziger Mensch getötet worden ist, hält Saperstein „für ein Wunder, dem weitere folgen werden“. So wie er seien die meisten Juden im Gaza-Streifen religiös und glaubten daran, dass „er (Gott), der uns bislang beschützt hat, das weiter tun wird“ – sprich: den Abzug verhindern. Für sehr wahrscheinlich hält Saperstein, dass ein palästinensischer Terrorist durch einen Anschlag in Tel Aviv oder Jerusalem das politische Programm Jerusalems aufhalten könnte. „Ich würde es hassen, dass unser Haus auf diese Weise gerettet wird“, sagt der Siedler mit unverhohlenem Zynismus.

Für nicht weniger wahrscheinlich halten israelische Experten einen Anschlag aus den eigenen Reihen. Die politische Hetze des rechts-nationalen Flügels ist ähnlich radikal wie vor zehn Jahren, als der damalige Premier Jitzhak Rabin von dem jüdischen Extremisten Igal Amir erschossen wurde.

Ariel Merari, Experte für politische Gewalt an der Universität Tel Aviv, hält auch Gewalt gegen Soldaten oder Palästinenser für möglich. Die Situation sei sogar noch gefährlicher als damals, da „wir heute über die konkrete Evakuierung von Siedlungen reden“, was damals noch nicht der Fall war. Dazu kommt, dass vor zehn Jahren eine linke Regierung an der Macht war. Heute regiert der konservative Scharon, der „damals genauso erhitzt gegen den Friedensprozess sprach“, wie seine heutigen Gegner, die in der Gesamtbevölkerung zunehmend in die Minderheit geraten.

In den Reihen der Armee verschieben sich die Mehrheiten hingegen genau in die andere Richtung. Der frühere Mossad-Chef Dani Jatom sieht angesichts der Tatsache, dass es immer mehr religiöse Soldaten gibt, „für die das Wort des Rabbis wichtiger ist, als der Befehl des militärischen Vorgesetzten“ die Gefahr eines Militärcoups. Religiöse Führer hätten bereits die Soldaten aufgerufen, nach ihrem Pessach-Urlaub nicht zu ihren Einheiten zurückzukehren.