Zapfenstreich für Guttenberg

THEATER Das Theaterlabor hat eine neue Spielstätte. Die erste Inszenierung in der Stauerei hatte am Samstag Premiere: Patrick Schimanski zeigt „Ein Traumspiel“ von Strindberg

„Traumspiel“ wirft ein prismenhaft aufgebrochenes Licht auf die bürgerliche Gesellschaft mit ihren Glücksverheißungen und materiellen Zumutungen

VON ANDREAS SCHNELL

„Träumst du?“, wird das Publikum der Stauerei schon am Eingang gefragt. Und nach dem Theater ist man sich gar nicht so sicher, was man da gerade erlebt hat. Irgendwie episodisch war es gewesen, ein Schal, eine Tür, hinter der sich offenbar ein Geheimnis verbirgt, ein um zwei Ellen gewachsenes Schloss, eine nie gesehene Victoria kamen immer wieder vor, als Kehrreim dann noch der Satz: „Es ist schade um die Menschen.“ Aber warum?

August Strindberg hat die Antwort auf diese Frage bewusst verrätselt. Ein Jahr bevor der schwedische Autor sein „Traumspiel“ schrieb, hatte Siegmund Freud „Die Traumdeutung“ veröffentlicht, in der er den Traum als Schlüssel zum Unbewussten erklärte und seine Bedeutung für die psychische Diagnostik herausarbeitete. Dabei ist Strindbergs Stück im Grunde weit weniger rätselhaft als manch ein Traum. Es ist eher die Form, die milde irritiert – ein Effekt, den Patrick Schimanski noch eindrucksvoll verstärkt hat.

Die Geschichte ist im Grunde geradezu schlicht: Agnes, die Tochter der Göttin Indra, steigt herab zu den Menschen, um deren Nöte und Drangsale kennenzulernen. Davon gibt es viele – das war auch Strindberg bekannt, nicht zuletzt aus eigener Anschauung. Er nannte das Stück „das Kind seines größten Schmerzes“, vorangegangen waren der Niederschrift schwere Monate, Verfolgungswahn.

Die Reise der Agnes zu den Menschen ist es, die in traumartigen Sequenzen vonstatten geht, ohne dramatische Logik, aber von beträchtlichem poetischen Zauber, der in Peter Weiss’ Übersetzung erhalten bleibt.

Patrick Schimanski, der für das Theaterlabor zuletzt „Eine Nacht im schwedischen Sommer“ inszenierte, schöpft für seine Deutung die Möglichkeiten des Raumes in der Stauerei ausgiebig aus. Dank der Emporen an den Seiten wird das Publikum gewissermaßen rundum umspielt, auch im Publikum selbst sind Schauspieler und Schauspielerinnen verteilt, die überraschend ins Geschehen eingreifen. Außerdem hat Schimanski den Text zum Teil chorisch organisiert, und die Figuren sind auf mehrere Schauspieler und Schauspielerinnen verteilt. So löst sich die ohnehin fließende Form, der pulsierende Rhythmus des „Traumspiels“ noch weiter auf und das Publikum wird förmlich ins Stück hineingesogen.

So gelingen Schimanski und dem Ensemble sehr dichte, gelegentlich gar psychedelische Momente: Wenn etwa Lehrer und Schüler über die einfache mathematische Aufgabe, wie viel zwei mal zwei sind, diskutieren, sich in logischen Fallstricken verheddern, dann geschieht das im Chor, mittendrin, bis einem der Kopf zu schwirren beginnt – einer der intensivsten Momente des Abends.

Aber es gibt auch ungleich leichtere Augenblicke: In einer Szene führt Strindberg die Nichtigkeit akademischer Würden vor – eine Steilvorlage für uns aus der Guttenberg-Galaxie – mit den wenigen Tönen des Gitarren-Riffs von „Smoke On The Water“ wird dem einstigen Hoffnungsträger der deutschen Politik sarkastisch ein letzter Zapfenstreich gespielt.

Dann wieder klingt eine durchaus deutliche Kritik an den Besitzverhältnissen seiner Zeit an, in der Theaterlabor-Inszenierung noch ergänzt um ein paar Foucault-Zitate. So wirft das „Traumspiel“ ein prismenhaft aufgebrochenes Licht auf die bürgerliche Gesellschaft mit ihren Glücksverheißungen und materiellen Zumutungen, die bekanntlich auch heute noch vielen die Frage nach dem Sinn des Ganzen nahelegt.

Patrick Schimanski ist damit erneut das nicht ganz kleine Kunststück geglückt, mit einem schauspielerisch heterogenen Ensemble eine sehenswerte Inszenierung zu erarbeiten.

■ nächste Vorstellungen: Freitag & Samstag, 19.30 Uhr, Stauerei