Warten auf den großen Knall

Klaus der Geiger ist Kölns bekanntester Straßenmusiker. In letzter Zeit hat sich der 65-Jährige etwas zurückgezogen. Ganz aufhören will er nicht, denn nur auf der Straße entstehe die revolutionäre Kraft

Von der Straße kann Klaus der Geiger nicht lassen, „ich bin süchtig danach“, lautet seine Selbstdiagnose

VON JÜRGEN SCHÖN

„Freie Liebe, Friedenspolitik, Anti-Atomkraft – eigentlich haben wir keine unserer Utopien umgesetzt.“ Die politische Lebensbilanz von Klaus dem Geiger, frische 65 Jahre alt, fällt nicht gerade positiv aus. Trotzdem ist der bissige Straßenmusiker nicht pessimistisch oder gar frustriert. Vielleicht, weil er die klassische Musik wieder als Gegenpol für sich entdeckt hat: Immer öfter tritt er, oft mit dem „KunstSalon“-Orchester, in kleinen Spielstätten auf und spielt „mit Vorliebe“ Bach oder Paganini. Hat dafür sogar wieder Bratsche geübt.

Auch Neue Musik mischt er in sein Programm und kehrt damit zu seinen musikalischen Wurzeln zurück. Anfang der 60er Jahre lernte er an der Kölner Musikhochschule Geige, verkrachte sich mit seinem Lehrer über die „Abgehobenheit der kulturtragenden Schicht von der Bevölkerung“. 1965 bis 1970 studierte er in den USA, zunächst in Buffalo, dann in San Diego, wo er ein Stipendium für moderne Musik erhalten hatte. Hier entwickelte er Methoden, wie man zu Musik, die auf selbst gebauten Instrumenten vom Schrottplatz gespielt wird, die Partituren schreibt. Es war eine wilde, eine prägende Zeit. Noch heute schwingt Begeisterung mit, wenn Klaus der Geiger die Stichworte nennt: „Hippies, Studentenrevolte, Anti-Vietnamkriegs-Bewegung, Living Theatre, Angela Davis, Marcuse“. Für den bürgerlichen Klaus von Wrochem war es auch die Zeit der persönlichen Befreiung.

Zurück in Köln, verlegte er sich zunächst aufs Komponieren, seine Neue Musik wurde im WDR gespielt. Doch der geordnete Musikbetrieb schreckte ihn ab, ihn hatte die Welt der Hippies gepackt. An der Bottmühle gründete er das „Tabernakel“, Kölns erste Kommune mit Teestube und Hostel, bevor er mit Frau und Freundinnen im Bayrischen Wald landete. Hier verdiente er sein Geld mit einem Tournee-Puppentheater, bis er nach zwei Jahren wieder nach Köln zog.

Hier entdeckte er dann die Straße als Agitationsfeld. Lederhose, Struwwelhaare und ein krummer Ast mit einer Kordel als Geigenbogen sind bis heute das Markenzeichen von „Klaus der Geiger“, wie er sich seitdem nennt. Über 1.000 Lieder mit deutschen Texten zu aktuellen politischen Themen dichtete und komponierte er seit 1972. Sie entstanden aus der „utopischen Sehnsucht nach anderen gesellschaftlichen Strukturen und gegen die Bonzen“, erklärt Klaus. Er sang zur Gründung der Sozialistischen Selbsthilfe Kölns (SSK), zur Stollwerck-Besetzung, zur Herstatt-Pleite, gegen Pershings und AKWs. Man braucht nur einen alten Titel anzugeben, sofort singt er den ganzen Text. Ein halbes Dutzend Schallplatten hat er veröffentlicht, zahllose MCs im Selbstverlag.

Warum er in letzter Zeit seltener auf der Straße auftritt? „Ich bin sicherlich auch etwas bequemer geworden“, räumt er ein. „Straßenmusik ist eine harte Nummer.“ Immerhin braucht er zumindest in Köln keine Polizeiübergriffe mehr zu fürchten. „Ich bin wohl zu bekannt, da trauen sie sich nicht mehr an mich ran“, grinst er. Früher landete er „alle naselang in Polizeigewahrsam“. Wegen Landfriedensbruch, Volksverhetzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Mit seinem Lehrer verkrachte er sich über die „Abgehobenheit der kulturtragenden Schicht von der Bevölkerung“

Aber von der Straße kann er nicht lassen. „Ich bin süchtig danach“, lautet seine Selbstdiagnose. „Wenn die Menschen im dichten Kreis um dich herum stehen bleiben und zuhören, dann entsteht eine kleine revolutionäre Kraft und alle sind irgendwie glücklich.“ Außerdem sei der Musiker nur auf der Straße wirklich frei, und mit den richtigen Kollegen könne man „musikalisch zaubern“.

„Aber heute kann man von Straßenmusik nicht mehr leben“, sagt der Musiker, selbst wenn „die reine Existenz“ nicht so viel koste. Essen mit abgelaufenen Haltbarkeitsdatum könne man sich aus den Abfallcontainern der Supermärkte holen. Und beim Bäcker Brot von gestern kaufen. „Das tu ich heute noch – allerdings beim Biobäcker“, lacht Klaus. Auch wenn er heute nicht mehr im Container nach Lebensmitteln fischt – im Luxus lebt er nicht, ist bescheiden geblieben. Genießt die bürgerliche Idylle mit Filzpantoffeln. Und „richtig im Frack“ hat er auch (wieder) geheiratet. „Aber nur der Verwandtschaft zu Liebe“, entschuldigt er den „Fehltritt“.

Die Hoffnung auf den politischen Wandel hat er noch lange nicht aufgegeben, er tritt weiter bei Anti-AKW- oder Friedensdemos auf. „Irgendwann kommt der große Knall“, hofft er. „Dann merken die Leute, dass ihnen keine Ich-AG aus der Klemme hilft, sondern nur die Solidarität.“

Klaus der Geiger ist auch im Netz präsent: www.klausdergeiger.de