theater
: Beamten-Tartuffe in braunem Anzug

Schillerjahr 2005 – das bedeutet Dramen ohne Ende: Landauf, landab marodieren Horden Schillerscher Räuber über die Bühnen, wüten kriegslüsterne Wallensteins und schießen tapfere Tells ihren Söhnen den Apfel vom Kopf. Eine unheroische Schiller-Produktion wie die des „Parasiten“ am Kölner Theater der Keller fällt da schon sehr aus dem Rahmen. Und mitten hinein in die Wissenslücke. Denn wem ist schon bekannt, dass der Dichter aus Marbach auch ein ambitionierter Übersetzer war, der gern zeitgenössische Komödien ins Deutsche übertrug?

Zum Beispiel im Frühjahr 1803. Da verwandelte Schiller für das Weimarer Hoftheater eine in Versform erschienene Vorlage des Pariser Bühnenautors Louis-Benoît Picard (1769-1828) in eine deutsche Prosaposse. Den Urheber kehrte er dabei kühn unter den Teppich: Das Stück erschien unter dem Titel „Der Parasit oder die Kunst sein Glück zu machen. Ein Lustspiel nach dem Französischen von Schiller“.

Schon im Bühnenbild wendet sich die Inszenierung von Meinhard Zanger gegen Schillersche Egozentrik und betont das Französische der Vorlage: Fünf rote Türen im Halbrund, durch die ständig jemand eintritt oder verschwindet, zitieren das groteske Tür-auf-Tür-zu der Pariser Salonkomödie.

Und auch das aufgeregte Flüstern ins Publikum, nicht wegzudenken aus der Spieltradition der linksrheinischen Nachbarn, wird lustvoll und ironisch in Szene gesetzt. Überhaupt ist es der kreative Umgang mit der Schillerschen Sprache, der die Kölner Fassung dieser Amtsstubenposse so sehenswert macht. Hinzu kommen phantasievolle Gestik und Mimik, ein durchweg lebendiges Spiel sowie das kluge Ausnutzen des knappen Bühnenraums im Theater der Keller.

Im Mittelpunkt steht Selicour (Bernd Reheuser), der schnorrende Titelheld: ein Beamten-Tartuffe im kaffeebraunen Anzug, ein sanft schmeichelnder Buchhalter, der es auf sehr geschickte Weise schafft, Kollegen und Vorgesetzte für seine Zwecke einzuspannen, sich aus gefährlichen Situationen intelligent herauszuwinden und um ein Haar tatsächlich einen Gesandtenposten und die Tochter des Ministers zu ergattern.

Aber eben nur fast: Bei Schiller wird der intrigante Gernegroß letztlich überführt. Regisseur Zanger setzt dem moralisierenden Ende zwei weniger ideale Alternativversionen entgegen. Schließlich lassen sich dieselben Worte auch ganz anders sprechen und deuten – das Publikum hat die Wahl.

Ein origineller, weil untypischer Beitrag zum Schillerjahr, kurzweilig inszeniert und gekonnt umgesetzt. Und sicher nicht ohne Bezug zum links- und rechtsrheinischen Heute.

HOLGER MÖHLMANN

„Der Parasit“, Theater der Keller in Köln, Kleingedankstr. 6, Tel. 0221/ 31 80 59, nächste Vorstellungen: 12.-15., 22.-24.04., jeweils 20 Uhr