Brüder an der Rhythmusmaschine

ANALOGE MUSIK Ihr Aufnahmestudio hat etwas von einem Museum, voller Synthesizer, früher Ataris und Drum Machines. Zu Besuch bei dem DJ- und Produzentenduo Gebrüder Teichmann, das gerade sein neues Album herausgebracht hat: „They Made Us Do It“

Manchmal nerven sich die beiden Brüder. Wenn sie ein Album aufnehmen, brauchen sie einen Puffer

VON THOMAS WINKLER

Blinde Fenster, abblätternde Wandfarbe, bröckelnder Putz. Früher wurde von hier aus ein ganzes, wenn auch zugegebenermaßen eher kleines Land überwacht. Heute geht von der ehemaligen Zentrale der Staatssicherheit in Lichtenberg keine Bedrohung mehr aus. Stattdessen haben hier neben der Gedenkstätte ein paar kleine Betriebe eine Heimat gefunden. Und neuerdings auch einige Musiker und ihre Aufnahmestudios, darunter die Gebrüder Teichmann. Die sind zwar lange noch nicht so bekannt wie die Stasi, aber ähnlich subversiv.

Andi und Hannes Teichmann sind dafür berühmt, ja eigentlich sogar berüchtigt, den Tanzwilligen ein breites Spektrum an musikalischer Beschallung, erhebliche Sprünge und bisweilen unüberbrückbare Gegensätze zuzumuten. Oder anders gesagt: Die beiden Teichmänner legen auf, was ihnen gefällt, und das ist eine ganze Menge.

Wer genau hinhört, kann diese Diskrepanzen auch auf „They Made Us Do It“ wieder hören, dem neuen Album der beiden DJs und Produzenten. Wohl niemand sonst wagt es, wie selbstverständlich von esoterischem Krautrock zu kräftigen House-Rhythmen zu wechseln, klassischen Soul zu adaptieren, dann ein paar Minimal-Techno-Beats zu bauen und schließlich durch „Auf dem Wasser“ so lange eine romantische Geige turnen zu lassen, bis der Rhythmus ins Stottern gerät.

Der kleinste gemeinsame Nenner der so unterschiedlichen Tracks ist der, dass die Gebrüder analog arbeiten. Die sonst so beliebten Plug-ins, also Software, die Instrumente nachstellt, kommen ihnen nicht ins Klangbild. „Die sind Scheiße“, sagt Andi, der ältere Teichmann. Er und sein Bruder arbeiten noch wie in den siebziger und achtziger Jahren, mit jenen Geräten, die damals die Popmusik revolutionierten, später von ihnen vor allem auf Flohmärkten gefunden wurden und heute in Regalen an der Wand ihres Studios auf ihren Einsatz warten. „So eine alte Kiste hat eine Wahnsinnsgeschichte“, schwärmt Andi.

Fast wie ein Museum wirken in ihrer Gesamtheit die Schätze, die die beiden angehäuft haben, die alten Synthesizer und Rhythmusmaschinen, vom frühen Atari über den Prophet 600 bis zur 808 von Roland. „Wir sind keine analogen Dogmatiker“, versichert Hannes. „Nein“, lacht Andi, „nur völlige Anachronisten“. Wieder Hannes: „Aber die Geräte entwickeln eine Eigendynamik, die Plug-ins nicht haben.“ Andi abschließend: „Und besser klingen sie auch.“

Ihre Lust am Klang entstand lange bevor die beiden Brüder nach Berlin kamen. Der 1975 geborene Andi und der gut drei Jahre jüngere Hannes wuchsen auf in Regensburg, und sie waren immer von Musik umgeben.

Vater Teichmann spielte Saxofon in verschiedenen Free-Jazz-Formationen, betrieb mit seiner Frau von 1979 bis Mitte der achtziger Jahre die Dorfkneipe im Vorort Kneiting und richtete im Obergeschoss einen Jazz-Club ein, in dem die beiden Söhne „natürlich immer auf der Bühne rumgehüpft sind“, wie sich Andi erinnert.

Seitdem, beschreibt es Hannes, leben die beiden „in einer eigenen Welt, die nur uns zwei betrifft“. Die erste gemeinsame Band hieß Totalschaden, Hannes saß am Schlagzeug, Andi drosch auf die Gitarre ein und zusammen spielte man Punk. Doch die beiden begannen auch als DJs zu arbeiten, entdeckten die elektronische Tanzmusik, produzierten, legten auf und spielten live, kollaborierten und gründeten immer wieder neue Projekte, trennten sich und fanden doch immer wieder zusammen. In der bahnbrechenden Band beigeGT operierten die beiden direkt an der Schnittstelle, auf der sie sich bis heute abarbeiten: Hannes spielte einen Moog-Synthie, Andi diesmal das Schlagzeug. „Wir haben eine musikalische Schnittmenge“, sagt Andi, „sind aber doch auch sehr unterschiedlich.“ Es ist, erklärt Hannes, „das Wettbewerbsding zwischen Brüdern“.

Hannes ist leutselig, spricht schnell und viel und unterhaltsam. Andi ist der Ruhigere, Zögerlichere

Das spürt man auch im Gespräch. Hannes ist leutselig, spricht schnell und viel und unterhaltsam. Andi ist der Ruhigere, Zögerlichere, in dem es brodelt und der dann, wenn ihn Hannes mal wieder unterbrochen hat, schon mal faucht, er möchte jetzt „auch mal einen Satz zu Ende bringen“. Hannes ist 2000 nach Berlin gezogen, die Club-Szene der Stadt hat ihn fasziniert, heute ist er zweifacher Vater und immer noch gerne unterwegs. Andi dagegen, der Punk und „überzeugte Kleinstädter“, wie er sagt, kam erst Mitte der nuller Jahre in die Hauptstadt: „Ich habe zwei Alben Vorsprung, aber dafür keine Kinder.“

Ein „Konzeptmensch“ sei Andi, meint sein Bruder. Der sagt dafür, der Jüngere sei gründlicher und detailversessener: „Hannes sitzt noch einen Monat an den Feinheiten, wenn ich schon lange keine Lust mehr habe.“ In dieser Arbeitsteilung ist ein mittlerweile kaum mehr überschaubares Werk entstanden. Neben den Platten ihrer Bands, den vielen Projekten und Produzentenjobs kommt dazu auch noch der Ausstoß ihres Labels „Festplatten“, das allerdings mittlerweile unter der Absatzkrise im Musikgeschäft leidet, momentan keine Musik von anderen herausbringt und nur mehr als Vehikel für die eigenen Veröffentlichungen dient.

Außerdem haben die beiden für das Goethe-Institut das Projekt „BLNRB“ zwischen Nairobi und Berlin kuratiert und für dieselbe Einrichtung im vergangenen Jahr Musik-Workshops mit einheimischen Musikern in Bangladesh, Indien, Sri Lanka und Afghanistan geleitet. Doch ob die damals entstandene und zwischenzeitlich sehr konkrete Idee, in Kabul ein Studio für junge Musiker einzurichten, jemals zustande kommen wird, ist nun wieder sehr zweifelhaft. Fest steht immerhin, dass die beiden Teichmänner im Sommer wieder nach Sri Lanka reisen werden, um dort ein ein Kreativ-Camp zu organisieren, an dem all jene Musiker teilnehmen sollen, die sie auf der Goethe-Tour durch Asien kennengelernt haben.

Obwohl die beiden Brüder unzertrennlich sind, ist „They Made Us Do It“ erst das zweite Album unter dem Namen Gebrüder Teichmann. Das mag daran liegen, dass die beiden sich „auch wahnsinnig nerven können“, gibt Hannes zu. Ein Umstand, ergänzt Andi, „der ganz schön anstrengend für das Umfeld“ werden kann. So benötigen die Brüder auch für dieses Album einen Puffer, Gäste, die in die brüderliche Dynamik hineinfunken, sie aufbrechen und erweitern. Neben der Klarinettistin Chloe Richardson oder der Sängerin Tijana T war diesmal auch ein gewisser Uli Teichmann dabei. Dessen Saxofon ist auf „Different Brains“ zu hören. Es ist die allererste Zusammenarbeit des Vaters mit seinen Söhnen.

■ Gebrüder Teichmann: „They Made Us Do It“ (Festplatten/Rough Trade), live am 14. 1. im Ritter Butzke