Klangkosmonauten

EXPERIMENTELLE MUSIK Musikalische Grenzerfahrungen: Vier Tage lang begibt sich das Festival „Klub Katarakt“ auf Kampnagel auf eine Klang-Reise „heraus aus der Zeit“

Dieses Jahr geht es beim Klub Katarakt um die unerbittlichste aller Naturgewalten

VON ROBERT MATTHIES

In einen gewaltigen musikalischen Gezeitenstrudel aus Resonanzen, Obertönen und psycho-akustischen Effekten konnte man sich auf Kampnagel im letzten Jahr vier Tage lang auf dem von einem Netzwerk Hamburger Komponisten, Interpreten und Bands, Videokünstlern, Literaten und Theaterleuten organisierten „klub katarakt“ werfen. Ganz im Sinne von dessen erklärter Maxime: ein „Strom von Klängen, Texten und Bildern“ und eine wirbelnde Zusammenkunft verschiedener Stilistiken und Gattungen zu sein.

Dieses Jahr geht es nun um die unerbittlichste aller Naturgewalten. Indes, hineinwerfen kann man sich diesmal nicht, stattdessen geht es gemeinsam „heraus aus der Zeit“. Denn Thema der musikalischen Grenzerfahrungen auf Hamburgs „kleinsten, aber feinstem“ Festival für experimentelle und Neue Musik ist die Auseinandersetzung mit dem persönlichen Zeitempfinden – und mit der Frage, wann denn eine musikalische Erfahrung überhaupt beginnt und wann sie endet.

Ganz offensichtlich fraglich wird das nämlich schon beim großen Auftakt am Mittwoch, der diesmal vor allem dem großen John Cage gewidmet ist. Mit einem über drei Hallen aufgespannten „Musicircus“ gratuliert das Hamburger Komponisten- und Performer-Ensemble Nelly Boyd gemeinsam mit Stargästen wie Frauke Aulbert, dem Streichquartett Nathan Quartett und Astrid Schmeling und Matthias Kaul vom Ensemble l’art pour l’art dem Avantgarde-Komponisten, der dieses Jahr im September 100 Jahre alt geworden wäre. Überlappend und gleichzeitig werden verschiedene Cage-Werke erklingen. Wo da etwas beginnt und wo es endet, das kann dann wohl nur noch die absolute Fachfrau entscheiden.

Nicht viel klarer wird das im Anschluss an die Konzertonstallation. In einem Nachtkonzert sind das Ein-Frau-Projekt Tellavision und das Quartett Halma zu hören. Letzteres beschäftigt sich schon länger intensiv mit der Auflösung des Festen, dem Ausmessen von Abständen und dem konzentrierten Zusammenfügen von Kontrasten zu flüchtigen Verbindungen und hat sich vor kurzem ausdrücklich in Albumlänge „Dissolved Solids“ gewidmet. Behutsam schreitet das durch ein immer wieder als subtile Pause aufscheinendes Nichts voran, hält sich nur an vereinzelten Gitarren und verschwindenden Flächen fest, setzt hier und da den Fuß auf schwere Bässe und skizziert damit einen der derzeit überzeugendsten Beiträge zur musikalischen Physik der Gravitation. Und die kennt bekanntlich auch weder Anfänge noch Enden im Zeitempfinden, sondern nur noch unterschiedliche Perspektiven auf die ewige Raumzeit.

Der zweite Festivaltag gehört dann ausschließlich Morton Feldman, dessen Komposition „For Philip Guston“ vom Trio Nexus zum ersten Mal in Hamburg aufgeführt wird. Viereinhalb Stunden lang ist das Stück für den New Yorker Maler, dessen Ausgangsmaterial das Motiv C – G – As – Es ist – eine Reminiszenz wiederum an John Cage, der Guston und Feldman 1950 miteinander bekanntgemacht hatte. Zu lang fand Feldman selbst das Stück übrigens nicht. Vielmehr scheine es sich „in die Landschaft der Zeit einzufügen, die ich mitbringe“. Genug Raumzeit, darüber nachzudenken, wird es jedenfalls geben.

Auch am dritten Tag steht die Aufhebung des linearen Zeitkonzepts und ein Dialog mit der Ewigkeit auf dem Programm. Nach einem Podiumsgespräch mit der Komponistin ist der Zyklus Naldjorlak der französischen Komponistin Éliane Radigue zu hören.

Heimlicher Höhepunkt der hiesigen Szene ist schließlich die „Lange Nacht“ am Samstag, auf der Hamburger Komponist_innen und Gäste untermalt von Kurzfilmen aktuelle Arbeiten präsentieren. Und am Ende geht es mit „fragmented grayscale electronics“ „hinaus in die Nacht“ mit dem Duo incite/.

■ Mi, 18. 1. bis Sa, 21. 1., Kampnagel, Jarrestr. 20; Infos: www.klubkatarakt.net