Bundeswehr führt Krieg, Minister weiß von nichts

BUNDESWEHR Trotz des Kampfeinsatzes plaudert Verteidigungsminister Franz Josef Jung lieber über Gelöbnisse und Truppenbesuche

Die „Marder“-Panzer rollen nicht in die Dörfer ein, versichert der Generalinspekteur der Bundeswehr

AUS BERLIN ULRIKE WINKELMANN

Seit Sonntag läuft die größte Bodenoffensive der Bundeswehr in der Geschichte der Bundesrepublik. Im Norden Afghanistans, im Distrikt Chahar Dara, sind erstmals auch „Marder“-Schützenpanzer im Einsatz, um Aufständische zu bekämpfen. Die afghanischen Behörden teilten am Mittwoch mit, dass bei der Operation bisher 13 Aufständische und vier afghanische Soldaten getötet worden seien.

Dennoch zog es Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) auf seiner Pressekonferenz in Berlin vor, zunächst einmal zu erzählen, wie schön er das feierliche Gelöbnis am Montag vor dem Reichstag fand. Auch habe er Anfang Juli sehr gern erstmals Tapferkeitsmedaillen an Bundeswehrsoldaten verliehen. In seiner Zeit als Minister, berichtete Jung weiter, habe er bereits 204 Bundeswehrstandorte besucht, und er freue sich, noch 30 weitere bald zu besuchen. Dazu, was die deutschen Soldaten zur Stunde in Nordafghanistan machen, sagte der Minister auf wiederholte Nachfrage nur: „Das Kommando über die Operation hat das Isaf-Hauptquartier in Kabul.“

Es blieb dem ebenfalls anwesenden Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, überlassen, die ersten halbwegs handfesten offiziellen Informationen zu den Vorgängen in der Region Kundus zur Verfügung zu stellen. Insgesamt seien 300 deutsche Soldaten, 800 afghanische Soldaten und 100 afghanische Polizisten an dem Kampfeinsatz unter Führung der Afghanen beteiligt.

Die Aufständischen legten „seit März ein neues taktisches Verhalten“ an den Tag, sagte Schneiderhan. Früher hätten sie zumeist Sprengfallen im Raum um Kundus gelegt. „Jetzt lassen sie uns frontal auf eine Sperre auflaufen, schießen dann mit der Panzerfaust von links oder rechts.“ Deshalb sei es „an der Zeit, diese Eskalation vorzunehmen“. Schließlich werde in 30 Tagen in Afghanistan gewählt. Der Einsatz in Chahar Dara solle „dazu beitragen, dass die Wahlen ordnungsgemäß stattfinden können“, und zeigen, „dass wir auch in Kundus willens und in der Lage sind, Wahllokale abzusichern“.

Chahar Dara ist ein rautenförmiger Distrikt mit einer Querausdehnung von etwa 50 Kilometern. Er grenzt im Osten an die Provinzhauptstadt Kundus und den großen Fluss Kundus. Vier Fünftel der Raute sind weitgehend unbesiedelt. Doch die Dörfer am Fluss sind im Laufe des vergangenen Jahres unter Kontrolle der Taliban geraten. Der grüne Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei wies am Mittwoch darauf hin, dass erst vor einem Jahr 500 Polizisten aus Kundus abgezogen worden seien, was der Sicherheitslage sicher geschadet habe.

Die Taliban hatten in Chahar Dara schon in den Neunzigerjahren ihr Provinzhauptquartier. Die Region Kundus ist im Norden eine Enklave der Paschtunen, aus denen die Taliban viele ihrer Kämpfer rekrutieren. Die Bundeswehr hat in Kundus ihr großes Provincial Reconstruction Team (PRT) mit derzeit über 1.000 Soldaten. Zu Beginn des Jahres hatten die Bundeswehr und afghanische Kräfte schon einmal eine Vertreibung der Taliban versucht – offenbar ohne anhaltenden Erfolg. Im Mai räumte die Bundeswehr erstmals ein, dass Bundeswehrsoldaten dort feindliche Kämpfer in einem Feuergefecht töteten. Ende Juni starben dort drei Soldaten bei einem Unfall im Kampf.

Schneiderhan erklärte am Mittwoch, die „Zeitidee“ der laufenden Offensive bestehe darin, dass die Lage in Chahar Dara „innerhalb einer Woche so bereinigt ist, dass man Kontrolle über diesen Raum hat“. Das Problem sei dabei nicht „Feuerüberlegenheit“, sondern vielmehr Information: „was sich tut und wo der Gegner sitzt“. Er glaube nicht, dass noch mehr Kräfte gebraucht würden.

Deutsche Stimmen in Kabul erklärten am Mittwoch, die Operation gehe vom Gouverneur Mohammad Omar aus, der vor den Wahlen demonstrieren wolle, dass afghanische Sicherheitskräfte dazu imstande seien, „den Distrikt zu säubern“. Der zuständige afghanische General Ali Murat habe sich gut mit dem deutschen Kommandeur vor Ort, dem Brigadegeneral Jörg Vollmer, abgestimmt.

Die „Marder“-Panzer würden dabei keineswegs in die Dörfer einrollen. Vielmehr gingen die afghanischen Polizisten und Soldaten von Haus zu Haus, um die Aufständischen herauszutreiben. Die Rolle der Bundeswehr sei es, flüchtende oder kämpfende Taliban außerhalb der Dörfer zu beschießen. Herbeigerufene US-Flugzeuge hätten bislang keine Bomben abgeworfen. Doch sollen durch eine „Hellfire“-Rakete einer Kampfdrohne mindestens fünf Taliban getötet worden sein.