„Unsere Wurzeln wurden vernichtet“

Die Weigerung der Türkei, den Völkermord an den Armeniern anzuerkennen, sei fatal, meint der Geschäftsführer der Kölner Armenischen Gemeinde, Masis Bedros. Dass auch der Bundestag den Begriff scheut, „ist eine Unverschämtheit“

taz: Herr Bedros, heute beginnt eine Veranstaltungsreihe im Kölner Lew-Kopelew-Forum zum 90. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern. Weitere Termine folgen in den nächsten Wochen. Wie wichtig ist für Sie der 24. April als armenischer Nationalfeiertag?

Masis Bedros: Dieser Tag ist einer der wichtigsten unserer Geschichte, nicht nur wegen der Vergangenheit, sondern auch wegen unserer alltäglichen Probleme heute – und den Folgen der Diaspora. Die macht vieles schwierig. Wenn zum Beispiel jemand stirbt, müssen wir mit der Beerdigung oft tagelang warten, bis die Familie aus aller Welt angereist ist. Da muss der Onkel aus den USA kommen, die Schwester aus der Türkei und so weiter. Bei Hochzeiten oder anderen Feiern gilt dasselbe.

In Köln und Umgebung gibt es eine recht große armenische Gemeinde mit 5.000 Mitgliedern. Ist der Zusammenhalt untereinander stark?

Auf jeden Fall. Das Zusammengehörigkeitsgefühl in Alltag und Geschäftsleben ist sehr stark.

In Köln leben ja auch viele Türken. Gibt es da Kontakte – oder eher nicht?

Das kommt darauf an, woher die Leute kommen. Die meisten Armenier sind aus der Türkei. Sie kamen vor allem in den 60er Jahren als Gastarbeiter und in den 80ern als Asylbewerber. Sie haben durchaus Kontakte zu Türken. Da gibt es auch viele Ähnlichkeiten in der Mentalität. Bei den Armeniern aus Iran, dem heutigen Armenien, Syrien oder Irak ist das weniger der Fall.

Offiziell weigert sich die Türkei, den Völkermord an den Armeniern anzuerkennen. Gibt es trotzdem im Persönlichen keinerlei Berührungsängste?

Jein. Die türkischen Familien, die schon länger in Anatolien lebten, wissen aus ihrer Familiengeschichte, was den Armeniern angetan wurde. Zumal viele sagen, dass ihre Oma oder ihr Opa Armenier waren, die als Waisenkinder aufgenommen und türkisch erzogen worden sind. Dann gibt es aber auch Nachkommen türkischer Familien, die nach 1923 in Anatolien angesiedelt wurden. Die kennen die Geschichte überhaupt nicht. Die Familien wussten oft nur, dass die Häuser, in die sie einzogen, früher von Armeniern bewohnt waren, aber nicht, unter welchen Umständen man sie vertrieben hatte. Von offizieller Seite oder wenn zwei Türken miteinander reden, heißt es sowieso: Nein, das haben wir nie im Leben getan. Da muss die Ehre gewahrt bleiben.

Im Deutschen Bundestag wird jetzt ein Antrag zu Armenien diskutiert, in dem das Wort „Völkermord“ nicht vorkommt, weil man es sich mit der Türkei nicht verscherzen will. Wie empfinden Sie das?

Das ist eine Unverschämtheit, was Deutschland sich hier leistet, zumal es ja eine große Mitschuld Deutschlands gibt. Besonders enttäuscht bin ich, weil der Holocaust an den Juden hier sehr gut aufgearbeitet wurde. Gerade Deutschland könnte als guter Freund der Türkei sagen: Hört mal, wir haben unsere Vergangenheit so aufgearbeitet, es wäre gut, wenn ihr das auch tätet.

Warum ist die Anerkennung des Völkermords durch die Türkei für Sie so wichtig?

Es geht hier nicht nur um 1,5 Millionen Opfer. Unsere gesamten kulturellen Wurzeln wurden vernichtet. Hinzu kommt noch, dass wir in der Türkei oft als Täter hingestellt werden. Die Geschichte wird so hingestellt, als hätten wir es nicht anders verdient. Und die ganze Kultur der Türkei wird entarmenisiert. Vor kurzem wurden sogar Tiere und Pflanzen, die lateinische Namen wie „Armenica“ und „Curdica“ hatten, umbenannt in „Anatolica“. Solche Dinge schmerzen die Armenier.INTERVIEW: SUSANNE GANNOTT