Freispruch trotz Fehlverhaltens

Ohne das Versagen eines Jugendamtsmitarbeiters und eines Heimleiters wäre eine Fünfjährige nicht missbraucht worden, stellte ein Flensburger Amtsrichter fest. Greifbar war die Mitschuld jedoch nur bei einem der Angeklagten

Fazit des Richters: Die Tat hätte verhindert werden können

Hätten die Angeklagten den Missbrauch einer Fünfjährigen verhindern können? Vor dem Amtsgericht Flensburg mussten sich ein ehemaliger Jugendamtsmitarbeiter der Stadt Flensburg und ein Heimleiter verantworten. Der Vorwurf: fahrlässige Körperverletzung. Ein fünfjähriges Mädchen war im März 2002 von ihrem Cousin, der unter Amtsvormundschaft in einem Heim lebte, während eines Wochenendbesuches missbraucht worden. Und: sowohl der Verwaltungsangestellte als auch der Heimleiter wussten seit Monaten über erste Missbrauchstaten ihres Zöglings Bescheid (taz berichtete).

Diese wurden allerdings intern behandelt und nicht zur Anzeige gebracht. Später fanden dann über längere Zeit Verwandtenbesuche statt, ohne dass die Eltern zweier Mädchen über die Vorgeschichte des Cousins informiert worden wären. Erst nach der Wiederholungstat äußerte sich der Heimleiter offen: „Nein, nicht schon wieder.“

Nun wurde er für sein Verhalten verurteilt. Der Richter sprach eine Verwarnung mit Strafvorbehalt aus. Außerdem wurde ein angemessenes Schmerzensgeld des Opfers gegen ihn für rechtens erklärt. Der Jugendamtsmitarbeiter hingegen wurde freigesprochen. Eine konkrete Mitschuld lasse sich strafrechtlich nicht erfassen. Grund dafür: Zwar hatte ihn die Anklageschrift als Vormund des jugendlichen Täters benannt. Rechtlich hatte er jedoch diese Rolle gar nicht inne.

Allerdings stellte der Richter in seiner Urteilsbegründung fest: Auch das klare Fehlverhalten des Sozialarbeiters sei erwiesen. Zudem bewertete er die Organisationsstrukturen des Jugendamtes Flensburg als „absolut mangelhaft“. Ob diese Umstände kausal mit dem wiederholten Kindesmissbrauch in Zusammenhang stünden, sei Spekulation. Doch deutlich sei: Die Tat vom März 2002 hätte verhindert werden können.

Der tatsächlich zuständige Amtsvormund, im Laufe des Verfahrens schließlich noch als Zeuge benannt, präsentierte sich kläglich: „Ich bin doch nur ein Verwaltungsbeamter.“ Über die konkreten Hilfen und Arbeitsweisen mit einem Mündel wisse er nicht Bescheid. Da bediene er sich ausschließlich der Kompetenz des zuständigen Fachbereiches Erziehungshilfe.

Die ebenfalls als Zeugin geladene Verwaltungsdirektorin und Vorgesetzte der beteiligten Beamten und Angestellten bestätigte, dass praktische Erziehungshilfe und gesetzliche Vertretung durch Amtsvormundschaft zwei völlig verschiedene Bereiche sind. Der Informationsaustausch zwischen ihnen sei zeitlich und inhaltlich variabel: „Alles eine Frage der Absprache“, betonte die 63-Jährige. Unter Hinweis auf persönlichen Datenschutz und gesetzliche Schweigepflichten zu Gunsten des Mündels betonte sie, eine Dienstrechtsverletzung seitens des angeklagten Sozialarbeiters habe nicht vorgelegen. Er wurde aufgrund seiner besonderen Eignung inzwischen befördert.

Also blieb der „Schwarze Peter“ beim angeklagten Heimleiter, der die Verwandtenbesuche ausdrücklich befürwortete: „Das war doch die große Chance für den Jungen, in ein normales Leben zurückzufinden. Ich hätte nie gedacht, dass er gerade dort rückfällig werden könnte“, sagte er vor Abschluss der Beweisaufnahme noch aus. Die unmissverständlichen Warnungen durch involvierte Psychologen und Therapeuten hatte er ignoriert, weil er deren Behandlungsmethoden in diesem Fall für „nicht angemessen und inkompetent“ hielt. Olaf Schechten