Nur noch echte Originale

Im TV grassiert der Formatklau. Auf der Fernsehmesse MipTV gründeten Deutschlands führende Unterhaltungsproduzenten einen Verein – und gelobten, nicht mehr von einander abzukupfern

Doch in erster Liniegeht es natürlichwieder um Geld.Viel Geld

AUS CANNES WILFRIED URBE

Wie Geächtete mussten sich einige deutsche Fernsehproduzenten im letzten Jahr auf der MipTV, der weltgrößten Messe für Fernsehprogramme, vorgekommen sein: keine Informationen, wann Vorführungen stattfanden, kaum Einladungen anderer Produktionsfirmen – und schon gar kein Zutritt zu den Yachten, auf denen an der Cote d’Azur die wichtigsten Geschäfte getätigt werden. Das gab’s noch nie, hatte aber einen einfachen Grund: die Angst vorm Formateklau.

Und tatsächlich: So viel abgekupfert wie in den letzten drei Jahren wurde selten. Ob „Frauentausch“ bzw. „Wifeswap“ oder „Hire or fire“ bzw. „Big Boss“ bzw. „The Apprentice“ oder „The Farm“ bzw. „Dschungelshow“ bzw. „Die Alm“ – die Formate doppeln und dreifachen sich, weil alle vom anderen abgucken. Dass bei der Übernahme solcher Unterhaltungsformate, wie international üblich, eine Lizenzgebühr an die Erfinder bezahlt wird, ist in Deutschland mittlerweile zur Rarität geworden. Hier galt die Devise: Wer zuerst klaut, sendet besser.

Jetzt, auf der seit Montag laufenden MipTV 2005, demonstrieren die deutschen Produzenten Einigkeit – und haben einen eigenen Verband gegründet: Mit Mitgliedern wie Brainpool („tv total“), Granada („Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“), Eyeworks Endemol („Big Brother“) oder Grundy Light Entertainment („Deutschland sucht den Superstar“) hat sich fast die gesamte Führungsriege der Branche in der „Association of German Entertainment Producers“ (AGEP) versammelt. Und gelobt, ab sofort nicht mehr voneinander zu kopieren.

„Eigenverpflichtungen sind in diesem Fall und zu diesem Zeitpunkt effektiver als das Warten auf Regulierung“, sagt Stefan Oelze, Geschäftsführer bei Granada Deutschland. Denn durch den Format-Wettlauf, sagt Grundy-Light-Chefin Ute Biernat, werden ganze Genres immer schneller verbraucht – und die Qualität mancher Produkte sinkt rapide: „ ‚Hire or fire‘ wurde direkt nach der ersten Folge abgesetzt, so etwas hatte es bisher noch nicht gegeben.“

Doch in erster Linie geht es natürlich um Geld. Viel Geld: Von der britischen Produktionsgesellschaft RDF, Erfinderin von „Wifeswap“, kaufte die Münchener Firma Tresor TV die Rechte an der Serie um austauschbare Ehepartner. „Ich tausche meine Familie“ sollte das Format bei RTL etwas spröde heißen, doch RTL2 produzierte einfach schneller eine eigene Me-too-Version: „Frauentausch“ lief zuerst, war trashiger – und ziemlich erfolgreich. RDF entgingen damit Lizenzgebühren im Wert von mindestens 300.000 Euro.

Dabei sind nur fünf Prozent der Gesamtproduktionskosten einer Serie zurzeit in Deutschland als Lizenzgebühr üblich. „Aber das auch nur, weil bei uns durch den Formate-Diebstahl die Preise ganz stark verfallen sind“, wie Christoph Fey, Guy Besson und Daniel Schmitt in der bislang nicht veröffentlichten Studie „The Global Trade in Televison Formats“ berechnet haben. „In anderen Ländern werden acht, oft auch zehn Prozent gezahlt.“ Insgesamt, so die Studie, wurden allein in den TV-Märkten Europa, USA und Australien 2004 für rund 2,4 Milliarden Euro Formate gehandelt.

Und es geht nicht nur um Lizenzen: Abgesehen von der fälligen Gebühr für „Wifeswap“ geriet außerdem auch der „ehrliche Käufer“ Tresor TV ins Hintertreffen: Weil das „echte“ Original bei RTL später anlief als die „originale“ Kopie, blieb der Erfolg aus – „Ich tausche meine Familie“ wurde frühzeitig abgebrochen. „Und in Deutschland gibt es keine rechtlichen Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren“, kritisiert Tresor-Geschäftsführer Axel Kühn. Der „kollegiale Schulterschluss“ (Biernat) soll dies nun künftig verhindern.

Plagiate haben so lange weiterhin Hochkonjunktur: Auf RTL lief vor kurzem die Reihe „Die 10“, Kabel 1 möchte bald mit „Top 10“ starten. Und auch die öffentlich-rechtlichen Sender mischen fleißig mit. Das 2002 höchst erfolgreiche ARD-Zeitreise-Format „Schwarzwaldhaus 1902“ sei ein ganz besonderer Fall, so Kühn: Ohne Lizenzen habe die ARD das Konzept von der englischen Firma „Wall to Wall“ übernommen, genau wie beim im vergangenen Herbst gesendeten „Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus“.

In anderen Ländern ist es mit juristischem Schutz leichter: Der oberste Gerichtshof in Brasilien bestätigte, dass Endemol durch die dortigen „Big Brother“-Kopierer ein Schaden von etwa 600.000 Euro entstanden sei – und bezifferte die Lizenzansprüche der Produktionsfirma auf anderthalb Millionen Euro.

Geht es nicht um Show oder Reality, sondern Fiction, lassen sich Formate auch nach deutschem Recht schon besser schützen: So kam es jetzt zu einer Einigung zwischen ProSieben und der britischen BBC, deren Kulterfolg „The Office“ in der ProSieben-Version „Stromberg“ heißt – zum Teil ähnelten sich sogar die Dialoge. Jetzt hat ProSieben die Lizenzen offiziell erworben – und dreht an einer Fortsetzung der für den Grimme Preis nominierten Reihe.

Ob sich aber wirklich Produktionsfirmen wie Sender künftig an Absprachen halten werden, bleibt abzuwarten: In Deutschland, einem der weltweit härtesten Fernsehmärkte, bleibt die Versuchung zum Kopieren groß. Eigene Ideen sind bei einheimischen Sendern schließlich seit Jahren Mangelware. Und so können in diesem nach wie vor rechtsfreien Raum kurzfristig doch wieder Vorteile durch Ideenklau winken.