HAMBURGER SZENE VON MAXIMILIAN PROBST
: Gefährliche Nähe

Tauben sind uns nicht nur nah, sie ähneln uns ganz erstaunlich – und zwar weit mehr als nur in ihrem Balzverhalten

Sie sind überall, wo wir sind. In den Bahnhöfen, auf den Balkonen, auf den Parkwiesen, in den kleinen Spielzeughäuschen der Innenhöfe: Tauben, Tauben, Tauben. Sie sind uns aber nicht nur nah; sie ähneln uns auch ganz erstaunlich und zwar weit mehr als nur in ihrem Balzverhalten, das Anlass gibt, von Turteltauben zu sprechen, wenn zwei von uns für ein Weilchen sichtlich aneinander Gefallen finden.

Zuerst schien mir, ich müsse mich verhört haben. Aber dann tat es die Taube noch einmal. Sie nieste. Hatschi. Genau so: Hatschi. Ein drittes Mal. Wobei sie immer leicht den Kopf schwenkte und das Kinn, oder wie das bei ihr heißen mag, ruckartig zum Kropf hin senkte. Natürlich klappten dabei auch ihre Augenlider zu, und es wäre mir nicht weiter wunderlich erschienen, wenn eine zweite Taube ihr Gesundheit zugeschnabelt hätte.

Das ist nur die Spitze dessen, was augenfällig ist. Auch wir hinterlassen überall unseren Mist. Auch wir plustern uns immerzu auf. Und was gliche dem ständig stumpfen Gegurr der Taube denn mehr als unser monotones Tagwerk?

Wer diese Litanei mit all ihren Zwischentönen des Leids und der Langeweile vernimmt, möchte das Fenster aufreißen und sich hinausstürzen – den Umstand nutzend, dass es noch einen minimalen Unterschied gibt, zwischen den Ratten der Lüfte und den Tauben der Erde.