Der zukünftige Deutsche

Offiziell stimmt das. Obwohl Chris, der erfahrene Brasilianer im Team des VfL Wolfsburg, nur eine einzige Stunde Sprachunterricht absolviert haben will, kann er sich auf Deutsch bestens verständigen. Die beeindruckende Vokabel-Bilanz dürfte einen unerfreulichen Grund haben: Es war wohl auch die dicke Krankenakte eines Mannes, der vor neun Jahren als Fußball-Gastarbeiter nach Hamburg gekommen ist, die bei seiner Eingewöhnung eine Rolle gespielt hat.

Zehenverletzung, Schulterprobleme, Rückenbeschwerden, Leistenbruch, Bandscheibenvorfall: Wer das alles erfolgreich auskuriert und dazu auch noch unfallfrei aussprechen kann, dürfte Wurzeln geschlagen haben. In Kürze will Chris den Einbürgerungstest machen und die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen.

„In Deutschland“, findet der 33-Jährige, „gibt es eine sehr große Lebensqualität“. Chris heißt mit vollem Namen eigentlich Christian Maicon Hening, und er stammt aus dem brasilianischen Blumenau. Seit seinem Wechsel von Porto Alegre zum FC St. Pauli, dem acht Jahre bei Eintracht Frankfurt folgten, gab es für den Defensivspezialisten so manch bitteren Moment zu überstehen. Obwohl man den Ex-Kapitän von Eintracht Frankfurt als begnadeten Ballkünstler und wertvollen Teamspieler einstuft, hat die Zahl der Zweifler angesichts seiner großen Verletzungsanfälligkeit in der Zwischenzeit stark zugenommen.

„Mich hat die Skepsis vieler Menschen, die meine Karriere schon als beendet bezeichnet haben, sehr geärgert“, sagt Chris, der bereit ist, sich unter der Regie des strengen Trainers Felix Magath noch einmal so richtig anschreien zu lassen. Um fit zu werden.

Angesichts von acht weiteren Neuzugängen aus aller Welt, die der VfL Wolfsburg während der Winterpause angeheuert hat, kommt der Brasilianer Chris mit seinem Fleiß, seiner Disziplin und seinem Vokabular schon erstaunlich deutsch daher. Sie nutzen ihn bereits als Dolmetscher für ihr Personal aus Südamerika. Aber was Chris möchte, hat wenig damit zu tun, einen in Niedersachsen ausgestellten Personalausweis als Weiterqualifizierung im deutschen Fußball nutzen zu wollen.

Der Mann weiß das System der hiesigen Krankenversicherungen sowie das Knowhow der Ärzte zu schätzen. Und er fühlt sich mit seiner Interpretation von Abwehrarbeit in der Bundesliga sehr gut aufgehoben. Gesund zu bleiben und auf Dauer ein Stammspieler beim VfL Wolfsburg zu sein, das ist für Chris mit Sicherheit in den nächsten Monaten die deutlich größere Herausforderung als der berüchtigte Einbürgerungstest.

CHRISTIAN OTTO