AUF DEN MONATLICHEN PROBEALARM REAGIEREN IN FRANKREICH NUR NOCH DIE TOURISTEN
: Ein Mittwoch zum Heulen

Nebensachen aus Paris

VON RUDOLF BALMER

Nur eine Gruppe japanischer Touristen reagiert. Mit erschrockener Neugier fragen sich die Besucher in Paris, was dieses Sirenengeheul am Mittag bedeutet. Ihre Besorgnis ist nach den Erdbebenkatastrophen und Tsunamis verständlich. In Japan weiß jedes Kind, was ein solcher Alarm heißt. Da die französischen Einheimischen aber völlig unbeeindruckt weiter ihrem Tagewerk nachgehen, sagen sie sich wohl, dass das hier nicht weiter von Bedeutung ist.

In Frankreich hat man sich so sehr an diese Tests gewöhnt, dass man sie gar nicht mehr zur Kenntnis nimmt oder allenfalls, um zu konstatieren, dass es der erste Mittwoch im Monat ist. Immer an diesem Tag nämlich heulen im Land die rund 4.500 Sirenen.

Das wissen alle, aber niemand kann sagen, was genau der Sinn dieser Übung ist, und erst recht nicht, worin sich der Ernstfall von ihr unterscheiden würde. Das hat ihnen niemand erklärt.

Einige meinen zu dem Alarmsystem: Sicher ist sicher … Andere spotten, das sei wohl einfach ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg. Da die lärmigen Dinger nun mal installiert seien, getraue sich niemand, sie zu entfernen. Aber wer weiß, ob nicht eines Tages doch der Feind naht.

Noch immer bedeutet ein fünf Minuten langes an- und absteigendes Signal Fliegeralarm. Drei solche langen Tonzeichen warnen vor einem Großbrand, und fünf Alarme in Serie sind für den Fall einer nuklearen Katastrophe vorgesehen. Darüber ist schon gar nicht informiert worden. Schließlich wollte man die sich in Sicherheit wiegenden Bürger nicht aufschrecken.

Als 1986 die Tschernobyl-Wolke von Osten her Frankreich erreichte, heulte auf Anordnung von ganz oben keine einzige Sirene. Denn laut dem damaligen Strahlenschutzchef bestand keine Gefahr, weil ihm zufolge die radioaktiven Partikel vor der Grenze zu Frankreich haltgemacht hatten.

Dennoch hat der französische Staat aus vergangenen Katastrophen etwas gelernt. Weil womöglich ohnehin niemand hinhört, werden die Sirenen ab 2013 ergänzt durch ein satellitengelenktes System, das im Katastrophenfall die vernetzten Bürger automatisch per Radio, SMS und Internet warnt.

Ob an der Tradition des Geheuls am ersten Mittwoch des Monats festgehalten wird, entzieht sich unserer Kenntnis. Immerhin merke ich mir eines: Wenn nächstes Mal wieder das Geheul losgeht, es aber ein Donnerstag mitten im April ist, dann ist das kein gutes Zeichen.