in fußballland
: Whiskey mit Salvador Allende

CHRISTOPH BIERMANN über die Geschichten des umtriebigen und weltgewandten Fußballtrainers Rudi Gutendorf

Rudi Gutendorf ist so alt wie mein Vater, hat aber ungefähr zehnmal so viele Länder bereist. Noch im letzten Jahr, Gutendorf war bereits 77 Jahre alt, hat er die Frauenfußballnationalmannschaft von Samoa betreut. Es war seine 58. Trainerstation, mit der Gutendorf seinen Weltrekord für internationale Engagements ausbaute. Jetzt sitzt er bei der Eröffnung einer schönen Fotoausstellung mit dem Titel „Weltsprache Fußball“ in Gelsenkirchen auf der Bühne und ich darf mit ihm plaudern.

Am schönsten war es im Ruhrgebiet, sagt er, und man ahnt, dass Gutendorf weiß, was wo zu sagen ist. Gutendorf erzählt, dass er gerade Nationaltrainer der Bermudas geworden war, als er am Strand eine deutsche Zeitung fand, die Urlauber mitgebracht hatten. Dort las er, dass Schalke ihn unbedingt verpflichten wollte, aber nicht wusste, wo er war. Gutendorf rief bei seinem Lieblingsklub an, kündigte umgehend auf der Insel und gab dem Verbandspräsidenten noch tausend Mark Ablösesumme, „damit er seinen Kindern ein paar Spielsachen kaufen konnte“.

Wenn Gutendorf erzählt, wird alles zur Legende. Er sagt, er hätte Schalke 1968 als Tabellenletzten übernommen, dass die Mannschaft danach ungeschlagen geblieben und mit ihm schließlich den Pokal gewonnen hätte. Als ich später nachschlage, stellt sich heraus, dass er sie als Vorletzter übernommen und noch eine Hand voll Spiele verloren hat, darunter das Pokalfinale gegen Bayern München. Gutendorf berichtet von einem triumphalen 2:0-Sieg über Borussia Mönchengladbach („Deutschlands damals beste Mannschaft“) bei seinem Debüt in der ausverkauften Glückaufkampfbahn in Gelsenkirchen. Sein erstes Spiel war in Wirklichkeit jedoch ein 0:1 bei Hertha in Berlin, das 2:0 hingegen ein Sieg im zweiten Spiel gegen den Viertletzten Frankfurt vor halbvollen Rängen.

Aber welcher Erbsenzähler will das so genau wissen, wo die Kraft der Geschichte gilt, und seine beste Schalker Anekdote ist zudem gut belegt. Gutendorf ließ seine Spieler nämlich um halb sechs morgens an den Zechentoren vorbeilaufen; die Kumpels sollten sehen, dass auch ihre Kicker schufteten. Damit sie es auch wirklich erfuhren, bestellte Gutendorf Kamerateams und Journalisten ein. „Außerdem habe ich die Trainingsanzüge mit fluoreszierenden Schriftzügen bedrucken lassen“, sagt er. Na, wenn das mal stimmt.

Gutendorf ist nicht alleine gekommen, Dieter Danzberg begleitet ihn. „Mein Vorstopper von Meiderich 1964“, stellt er ihn vor. Danzberg, der selber ein toller Geschichtenerzähler ist, strahlt stolz wie Eckermann. In der ersten Bundesligasaison wurde der Meidericher SV, der sich erst vier Jahre später in MSV Duisburg umbenannte, völlig überraschend Zweiter. Die Meisterschaft verpasste Gutendorfs Team aus dem Vorort um nur einen Sieg. Der weitgehend unbekannte Trainer hatte aus seiner Zeit in der Schweiz nämlich den Riegel mitgebracht. In Deutschland wurde Gutendorf zu „Riegel-Rudi“, als sein MSV hinten mauerte und dann gefährlich konterte. Die anderen waren häufiger am Ball und verloren doch, wie heute die Gegner des FC Chelsea.

„Riegel-Rudi“ ist er vier Jahrzehnte lang geblieben, in denen Gutendorf mit Salvador Allende Whiskey trank oder Hutu und Tutsi in Ruanda zusammenbrachte. Nie ist er in Vergessenheit geraten, denn Gutendorf war ein Trainer, der die Moderne seines Berufsstandes vorweggenommen hat. Er war der erste Coach in der Bundesliga, der sich durchsetzen musste, ohne ein großer Spieler gewesen zu sein. Wie später Christoph Daum oder Peter Neururer machte er stets PR für sich. Was hilft es, erfolgreich zu sein, ohne dass jemand davon erfährt? Gutendorf sorgte dafür, dass man von seinen Dauerläufen entlang der Zechentore erfuhr oder jeder mitbekam, wenn er auf dem Broadway in New York ein Showtraining machte.

Doch kaum war er irgendwo angekommen, zog es ihn auch schon weiter. Heute ahnt man noch in wenigen Momenten hinter der Altersmilde den ungeduldigen und streitlustigen Trainer von einst. „Ich habe manchmal überzogen“, sagt Gutendorf. Seinen Geschichten hat das nur gut getan.