Völlig vom Dusel verlassen

Zwei späte Tore gegen den FC Chelsea reichen Bayern München nicht zum Erreichen des Halbfinales in der Champions League, aber immerhin zu einem 3:2-Sieg und ausgiebigen Eigenlobeshymnen

AUS MÜNCHEN THOMAS BECKER

Abschied nehmen macht sentimental. Also los: Der Weg ins Stadion ist diesmal anders. Nicht wie gewohnt mit dem Auto durchs Taxi-Chaos auf den Presseparkplatz, sondern zu Fuß, am See entlang. Enten schwimmen ihre Bahnen, Tretboote schlummern, Flutlicht spiegelt sich im Wasser, und der Berg steht still und schweiget – kann ein Fußballstadion idyllischer liegen?

Es war das letzte große Spiel im Münchner Olympiastadion, und irgendwie lag er in der Luft, dieser Abschied des FC Bayern vom internationalen Wettbewerb. Hätte überhaupt nicht sein müssen, passte dramaturgisch aber recht gut. Das 100. Champions-League-Spiel des FCB, ein von Fangesängen zuweilen rauschhaft besungener Fußballabend und der wohl bitterste Bayern-Sieg der Europapokalgeschichte. Und so geschah es bei diesem finalen Großereignis, dass sich – oh Wunder! – tatsächlich so etwas wie Mitleid regte. Mitleid mit dem jahrelang genussvoll als FC Großkotz titulierten Branchenführer des deutschen Fußballs. Ein treuer Wegbegleiter wurde an diesem Abend beerdigt: Der Bayern-Dusel ist tot. Hat das Ufer gewechselt. Ist kein Roter mehr, sondern ein Blauer, ein Chelsea-Blauer.

Selten geht der FC Bayern als Außenseiter in eine Partie, selten bekommt der Underdog so viele Chancen gegen den in den höchsten Fußballhimmel gelobten Favoriten, und selten waren Treffer in der Nachspielzeit zynischer als die von Guerrero und Scholl in der 90. und 95. Minute. Als wollte der übergeordnete Spiellenker den Bayern ein Lektion in Sachen Demut erteilen, ließ er sie eineinhalb Stunden lang gegen das Tor des FC Chelsea anrennen und gönnten ihren mehr als redlichen Bemühungen nur einen einzigen Treffer in Form eines Pizarro-Abstaubers. Erst als alles vorbei war, Drogba mal wieder Kovac düpiert hatte, Chelsea total unverdient 2:1 führte, erst dann ließ er die Münchner Torchancen im Netz einschlagen. Sie trugen ungefähr die Nummern 17 und 18.

Zwölf Gegentore musste Chelsea in der englischen Liga bislang hinnehmen – in 32 Spielen. Noch nie in dieser Saison haben sie mit zwei Toren Unterschied verloren. Der FC Bayern kann nun zwar für sich reklamieren, so stark gewesen zu sein, dass diese Serie der „Blues“ fast gerissen wäre. Aber eben nur fast. So steht am Ende der schnöde Fakt, dass es die Münchner auch im zehnten Versuch nicht schafften, einen Zwei-Tore-Rückstand aus dem Hinspiel wettzumachen. Das gelang zuletzt gegen Inter Mailand – vor 17 Jahren. So verpasste man zum vierten Mal seit dem Triumph von 2001 den Einzug ins Halbfinale.

Der berechtigte Ärger darüber hielt sich in Grenzen. Merkwürdig gefasst, ja geradezu vorbereitet wirkten die Beteiligten. „Wir werden jetzt ein bisschen trauern“ (Magath), „Wir sind ein bisschen sauer“ (Sagnol), „Ich kann nur gratulieren zu der Leistung“ (Hoeneß) – einen zutiefst niedergeschlagenen, frustrierten Eindruck machte keiner. Schweinsteiger bekam sein Lausbubengrinsen bei keinem seiner vielen Interviews aus dem Gesicht, Uli Hoeneß war entspannt wie nie, Magath entdeckte gar Positives („Wir haben jetzt zwei Spiele weniger“), und sogar Mister Adrenalin, Oliver Kahn, war zum Flachsen aufgelegt: überlegte öffentlich, ob er die bewährte Eigentor-Methode mit Spielkamerad Lucio in sein Trainingsprogramm einbauen soll.

Schnell war der ärgerliche Sieg abgehakt, der Blick nach vorn gerichtet: Was muss im nächsten Jahr besser werden, Herr Magath? „Wir müssen daran arbeiten, konsequenter zu sein. Wir brauchen nicht unbedingt neue Spieler. Wir haben eine klasse Mannschaft, das hat man gesehen. Ich denke, dass wir auf der Höhe von Chelsea, Juventus, AC Mailand und den verbliebenen Mannschaften sind. Mit diesem Team wäre die Champions Leagut zu gewinnen gewesen.“ Uli Hoeneß hatte vor dem Spiel noch defensiver geklungen: Auf Dauer sei selbst ein FC Bayern wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig mit den Millionarios aus London. Neid? „Nein, Neid kenne ich überhaupt nicht. Aber die haben halt viel mehr Möglichkeiten. Doch heute hat ihnen das ganze Geld nix genutzt, heute haben sie die Hilfe von oben gebraucht.“ Und bekommen.

Bauchmensch, der er nun mal ist, wurde Hoeneß zum Schluss noch ein bisschen gefühlig: „Das war heute eine Wahnsinns-Atmo, ein würdiger Abschluss für ein großes Stadion.“ Zum Samstagnachmittagtreff kommen nur noch Bochum und Lautern, dann ist es im Olympiapark ganz vorbei mit dem Fußball. Das nächste Highlight folgt am 2. Juni: die Weinwelt München „mit kulinarischen Köstlichkeiten, Weintouristik und jeder Menge Entertainment“. Aber das Flutlicht bleibt aus.