BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE
: Halfter mit Panikhaken

Der Reitsport hat seine Exklusivität verloren, entsprechendes Zubehör gibt es jetzt auch schon bei Aldi

Eigentlich wollte ich in meinem Leben keine Pferdeglosse mehr schreiben. Ich traute mich einfach nicht. Doch dann kam die Sache mit Aldi.

Vor drei Jahren hatte ich mir mit einem Pferdetext strenge Leserbriefe eingehandelt. Jetzt müsse man auch noch „in der taz“ Ausführungen von „Herrenreiterinnen“ lesen, wies mich eine Dame zurecht, die des Weiteren darlegte, dass es in Deutschland „zunehmende Armut“ gebe und damit Millionen von Frauen und Mädchen, die sich das Reiten „gar nicht leisten“ könnten.

Wie viele Menschen fühle auch ich mich schnell schuldig, der Brief traf mich mitten ins Herz. Er weckte Erinnerungen an Großtante Zilly, die damals, ich war zehn Jahre alt, befand: „Das Mädchen braucht doch nicht zu reiten! Reiten, das ist doch nur was für die Bravour!“

Großtante Zilly war ein Waisenkind und hatte sich ganz allein aus armen Verhältnissen bis zur Schulleiterin emporgearbeitet. Das Letzte, was sie sich für die Familie wünschte, waren verwöhnte Großnichten, die sich in Reitvereinen mit „feinen Pinkeln“ abgaben, mit Leuten also, die mit Freizeitbeschäftigungen protzten, statt mit den Früchten ihrer Arbeit. Bei Zilly gab es noch ein Oben und ein Unten, Arbeit und Müßiggang, Oberflächlichkeit und Tiefe.

Und zu Zillys Zeiten gab es noch kein Aldi.

Immerhin hatte ich es damals trotz Zillys Widerspruch auf einen Ponyhof geschafft, wo warme, etwas schmuddelige Wesen bereitstanden, mich durch die Gegend zu tragen. Pferde sind Fluchttiere für Mädchen und Frauen. Doch ich bin schon wieder dabei, mich zu rechtfertigen. Dabei hätte ein Hinweis auf Tine genügt. Tine ist nämlich Pferdebesitzerin und Unterschicht. Rein rechnerisch jedenfalls.

Tine hat im Tiermedizinstudium versagt und ackert jetzt als ungelernte Altenpflegerin. Ihre Freizeit ist keine freie Zeit, denn die braucht sie für ihre Islandpferdezucht, inzwischen hält sie zwölf Ponys in Weidehaltung. Das Geld für die Pacht der Wiesen bringt Tine durch fünf Pensionspferde von Privatpferdehaltern zusammen. Außerdem gibt es noch Geld von der EU, die furchtbar dankbar ist, wenn jemand keine Milchkühe auf seine Wiesen stellt.

Nachdem Tine im Pflegeheim alte Leute herumgewuchtet, gewaschen und gewindelt hat, fährt sie raus auf die Weiden, um bergeweise Pferdescheiße abzusammeln. Tine lebt von 750 Euro monatlich, abzüglich Miete und Kosten für das klapprige Auto. „Ich hätte immer genug zu tun, auch wenn ich meinen Job im Pflegeheim verlieren würde“, pflegt Tine zu scherzen. Pferde sind zum Glück bei keiner Bank und in keinem Grundbuchamt eingetragen. Das Arbeitsamt käme wohl gar nicht auf Tines „bewegliches Vermögen“, wenn sie arbeitslos würde. Praktisch.

Von der Aktion bei Aldi habe ich Tine natürlich sofort erzählt. Tine leistet sich keine Zeitung und ist deswegen auch nicht auf die bunte Aldi-Verkaufsanzeige „für den Reitsport“ gestoßen.

Für 15 Euro gab es „Pferde-Abschwitzdecken“ für jene Aldi-Kunden, die Pferdebesitzer sind. Reitstiefel konnte man schon für 18 Euro kaufen, und „Pferdehalfter und Strick als Set, mit Panikhaken“ bot Aldi zu 7 Euro für jene Klientel an, die Pferde durch die Gegend führen oder anbinden müssen. „Die Halfter könnte ich brauchen“, meinte Tine zu mir, „danke für den Tipp.“

Wir sind spätabends in der Dunkelheit unterwegs, so was ist ja zum Glück nicht verboten. Der Sternenhimmel strahlt über uns, meine Beine umspannen den dicken Fengur, wir plaudern und lachen wie 15-jährige Mädchen. Wie schön, wenn man sich für nichts mehr rechtfertigen muss.

Auch wenn sich am Ende herausstellte, dass die Halfter von Aldi doch nichts taugten.

Fragen zum Reitsport? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH