Westafrika und die „Warlords ohne Grenzen“

Weil in Sierra Leone und Liberia Frieden herrscht, ziehen Bürgerkriegskämpfer in die Elfenbeinküste und nach Guinea

BERLIN taz ■ Adama Keita hat zwei Pässe, einen liberianischen und einen ivorischen. Er gehört zur Führung der Model (Bewegung für Demokratie in Liberia), einer der beiden liberianischen Guerillagruppen, die 2003 zum Sturz des dortigen Präsidenten Charles Taylor beitrugen und jetzt in Liberia mitregieren. Am Dienstag wurde er in der liberianischen Grenzstadt Zwedru auf dem Weg in die Elfenbeinküste von UN-Blauhelmen festgenommen. In seinem Auto waren lauter Kinder – Kindersoldaten aus Liberia für den ivorischen Präsident Laurent Gbagbo. Mehrere hundert Rekruten soll Keita in zwei Monaten über die Grenze geschafft haben.

In einem Land werden Soldaten demobilisiert – im Nachbarland werden sie wieder angeworben. Dieses Muster ist im Länderviereck von Sierra Leone, Liberia, Elfenbeinküste und Guinea unverändert gültig, obwohl in Sierra Leone seit 2001 Frieden ist, in Liberia seit 2003, in der Elfenbeinküste ein Friedensabkommen nach dem anderen unterzeichnet wird und in Guinea noch gar kein Krieg herrscht. „Der Strom von Waffen und Kämpfern über die durchlässigen Grenzen Westafrikas, zusammen mit der Bereitschaft von Regierungen in der Region, Aufständische und Regierungsmilizen in Nachbarländern zu unterstützen, hat tödliche Konsequenzen“, analysiert die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ (HRW) in einem gestern veröffentlichten Bericht „Jugend, Armut und Blut: Das tödliche Erbe von Westafrikas regionalen Kriegern“.

Derzeit, so HRW, strömen Ex-Milizionäre aus Sierra Leone und Liberia in das Regierungsgebiet der Elfenbeinküste sowie nach Guinea, wo eine im Aufbau befindliche Rebellion mit Unterstützung aus der Elfenbeinküste ebenso nach Soldaten sucht wie die kriselnde Regierung des todkranken Präsidenten Lansana Conté. Erst vor wenigen Tagen kam es zu Scharmützeln an der ivorisch-guineischen Grenze.

103.019 Bürgerkriegskämpfer haben in Liberia das UN-Demobilisierungsprogramm durchlaufen. Aber sie gaben insgesamt nur 28.222 Waffen ab. Da bleibt viel übrig für den nächsten Krieg. 4.000 demobilisierte Kindersoldaten in Liberia seien aus Umschulungsprogrammen hinausgeworfen worden, weil sie ihre Schulgelder nicht bezahlen konnten, kritisiert HRW. Viele Milizenführer in Liberia und Sierra Leone zwängen demobilisierte Kämpfer dazu, ihnen bis zur Hälfte der Wiedereingliederungspauschale auszuhändigen, die sie bei der Demobilisierung erhielten. Mit diesem Geld bauten sie dann neue Armeen auf.

Solange es keine besseren Überlebensperspektiven für Westafrikas arbeitslose Jugend gebe als Plündern unter dem Schutz von Warlords, werde sich an diesen Zuständen nichts ändern, so HRW. Kurzfristig sorgen die Nachrichten über Kinderrekrutierung aus Liberia durch die Regierung der Elfenbeinküste für neue Spannungen in diesem Land, eine Woche nach der Unterzeichnung eines Friedensabkommens. Und Guinea wartet täglich auf den Bürgerkrieg, dessen Vorbereitungsphase jetzt öffentlich ist. DOMINIC JOHNSON

www.hrw.org/reports/2005/westafrica0405/