Altes Schulbuch digital zerstören

LERNEN 2.0 Am Tag vor seiner Bildungsoffensive wird klar, was Apple will: das gedruckte Buch als Trittbrett benutzen – und es danach beiseitekicken

VON CHRISTIAN FÜLLER

Am Donnerstag ist wieder mal Apple-Tag. In New Yorks Guggenheim-Museum wollen die Weltmarkterschrecker einen neuen Coup landen: Es geht darum, das Schulbuch neu zu erfinden. Nun geben Hinweise einen Fingerzeig, dass die Aktionsform des Schickimickis unter den IT-Firmen mehr nach Joseph Schumpeter als nach Mahatma Gandhi aussieht: Die Schulbuchindustrie, so sagte es Steve Jobs, ist reif für die Zerstörung. Der Soziologe Schumpeter sah im Zerstören eine schöpferische Kraft.

Wenn man so will, wird der Vorgang des Zerstörens des gedruckten Schulbuchs in der Tat ein kreativer Vorgang. Die Idee Apples bestehe darin, das Schulbuch neu zu erfinden, wurde bisher kolportiert. Aber eine simple Kopie des Gutenberg’schen Buchs auf elektronische Geräte wird es nicht geben – dafür sind die Möglichkeiten, die etwa ein Tablet-PC hat, viel zu groß. Da geht es auch um Bilder, Töne, Links, Animationen.

Digitale Texte, schreibt der Technikblog „ars technica“, lassen Schüler mit den Informationen auf visuelle Art interagieren, also etwa mit 3-D-Modellen, Grafiken und Videos. Sie erlaubten es Schülern überdies, eigene Links zum Gelesenen zu setzen – auch diese in allen multimedialen Formen. Zudem können die Lernenden auf solche Art bearbeitete Texte viel besser teilen – anders als ein Buch zwischen zwei Deckeln lassen sich individualisierte Dateien viel leichter verschicken oder in Clouds setzen.

Der deutsche Lehrer Ulf Blanke war gerade bei einem pädagogischen Seminar von Apple – und er beschreibt genau dies als die Zukunft des Lernens: eine ganz andere als mit einem Schulbuch, weil die Schüler nun in der Lage seien, mit einem eigenen Gerät ihr Lernen und ihre Texte zu individualisieren. Als Zerstörung empfindet Blanke, der an einer Braunschweiger Gesamtschule arbeitet, das nicht. Im Gegenteil, er freut sich über Apples Initiative: „Manchmal wünscht man sich als technikaffiner Lehrer, dass jemand vorprescht und was in Gang setzt. Es war auch zu erwarten, dass da was kommt.“

An Blankes Schule gibt es seit ein paar Monaten ein Projekt mit Tablet-PCs. Allerdings muss niemand erwarten, dass diese Nur-Bildschirm-Computer, die uralten Schiefertafeln zumindest in der Größe ähneln, das Lernen gleich auf den Kopf stellen. Das gehe behutsam vor sich, schildert der Lehrer. Man muss erst fach- und kollegenweise erkunden, wo und wie sich der Einsatz bewährt – und wo nicht.

Auf dem Weltmarkt wird dies wohl anders vor sich gehen. „Wenn sie sich anschauen, was Apple macht“, zitiert „ars technica“ den ehemaligen Apple-Mann Mark MacInnis, „sie verkaufen Zehntausende von ihren iPads in die Schulen bis zur zwölften Klasse.“ Was dann passiere mit den Tablets sei nicht einfach Schulbücherersetzen – „denn sie haben ja viel mehr zu bieten.“

Was geschieht, ist etwas anderes: Das Schulbuch wird vorderhand aufs Tablet kopiert – entsprechende Kooperationen mit elektronischen Buchanbietern ist der kalifornisches IT-Gigant bereits eingegangen. Im zweiten Schritt wird die alte Form dann verlassen. Kurz gesagt: Apple wird das Schulbuch als Trittbrett in die Schulen benutzen – um es dann wegzukicken.

Ein bisschen fragt man sich, wie die deutschen Schulbuchverlage buchstäblich gestern auf so etwas wie einen Schultrojaner setzen konnten: eine Software, die in Schulrechnern nach illegal kopierten Schulbuchinhalten sucht. Wollte die 500-Millionen-Euro-Industrie etwa so den 100-Milliarden-Dollar-Giganten Apple stoppen?