Wie weit reicht Europas Haftbefehl?

Das Verfassungsgericht versucht am Fall eines Al-Qaida-Verdächtigen zu klären, ob deutsche Staatsbürger an europäische Staaten ausgeliefert werden dürfen. Justizministerin sagt Ja, Anwälte Mamoun Darkazanlis sagen Nein

KARLSRUHE taz ■ Eigentlich ist das Problem überschaubar: Darf der terrorverdächtige Deutsch-Syrer Mamoun Darkazanli nach Spanien ausgeliefert werden oder nicht? Doch bei der zweitägigen mündlichen Verhandlung über Darkazanlis Verfassungsbeschwerde geht es um mehr: um die Zukunft des Strafrechts in Europa und die demokratischen Grundlagen der EU.

Mamoun Darkazanli sitzt seit Oktober in Hamburger Auslieferungshaft. In Spanien soll er als Mitglied der dortigen Al-Qaida-Zelle angeklagt werden. Was ihm in Spanien konkret vorgeworfen wird, ist umstritten. Laut Darkazanlis Anwalt Michael Rosenthal geht es vor allem um Handlungen in Deutschland, etwa die Teilnahme an einer Hochzeit im Umfeld der Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta. Für das Oberlandesgericht Hamburg, das die Auslieferung im Oktober für zulässig erklärte, steht dagegen die Kooperation mit dem spanischen Al-Qaida-Chef Abu Dahdah im Vordergrund, den Darkazanli zwischen 1997 und 2001 auch viermal in Spanien besuchte.

Zwar wird auch in Deutschland gegen Darkazanli ermittelt, doch bisher ohne Ergebnis. Denn die Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung ist bei uns erst seit dem Jahr 2002 strafbar. „Man könnte auf den bösen Gedanken kommen, dass mein Mandant jetzt gezielt in ein Land gebracht werden soll, wo deutsche Schutzmechanismen nicht gelten“, argumentierte Anwalt Rosenthal.

Nach dem seit August 2004 geltenden Europäischen Haftbefehl muss bei 32 Deliktgruppen – inklusive Terrorismus – nicht mehr im Einzelfall überprüft werden, ob das Delikt in beiden Staaten strafbar ist. Rosenthal sieht darin einen Grund für die drohende Auslieferung.

Doch nach Ansicht von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) kommt es darauf im Fall Darkazanli gar nicht an. Dem Deutschsyrer werde in Spanien nämlich die Beteiligung an einer „inländischen“ Terrorgruppe vorgeworfen. „Und die Mitgliedschaft in einer inländischen terroristischen Vereinigung ist in Deutschland schon lange strafbar“, so Zypries, „damit ist die beiderseitige Strafbarkeit des Delikts gegeben.“

Bisher stand Darkazanlis Auslieferung vor allem entgegen, dass deutsche Staatsbürger nicht ins Ausland ausgeliefert werden dürfen. Dies hat das Gesetz über den Europäischen Haftbefehl jetzt aber geändert, vermutlich ist dies sogar die einschneidendste Neuerung. Nach Auffassung von Matthias Herdegen, Darkazanlis zweitem Bevollmächtigtem, hätte die Bundesregierung dem zugrunde liegenden europäischen Rahmenbeschluss nicht zustimmen dürfen. Zypries verwies jedoch darauf, dass das Grundgesetz mit Blick auf den EU-Haftbefehl schon im Jahr 2000 geändert wurde. Seither ist die Auslieferung von Deutschen in EU-Staaten grundsätzlich möglich.

Im weiteren Verlauf der zweitägigen Verhandlung sollte es vor allem um die Grenzen der Integration der Europäischen Union gehen. CHRISTIAN RATH