Der blaue Himmel über Bitterfeld

SENTIMENTAL JOURNEY 18 Jahre nach ihrem Bitterfeld-Bashing kehrt Monika Maron an den Handlungsort von „Flugasche“ zurück. Zusammen mit ihrem Sohn Jonas entdeckt sie die Region neu

Obwohl nicht Tochter dieser Stadt, scheint es, als fühle sie sich für sie verantwortlich

VON KATHARINA GRANZIN

Die Autorin reist mit Hund und nimmt daher bei ihrem Bitterfelder Rechercheaufenthalt mit einer niedrigklassigen Pension vorlieb, in der außer ihr und dem Tier nur durchreisende Monteure wohnen. Dafür werden im Raucherraum Schulungen für Staubsaugervertreter abgehalten. Das ist eine interessante, gleichsam paradoxe Randnotiz aus dem Alltag der (ost)deutschen Provinz. Den Staubsaugervertreter als eine altbundesrepublikanische Randgruppenspezies glaubte man schon lange ausgestorben. Genau wie den giftigen Qualm, der die Stadt Bitterfeld als Standort der Chemieindustrie und eines Braunkohlekraftwerks jahrzehntelang umgab, verflogen schien.

Monika Marons von journalistischer Neugier getragene Reportage ist gleichzeitig eine sentimentale Reise an den Handlungsort ihres ersten Romans „Flugasche“, mit dem sie, zunächst allerdings nur im Westen, bekannt wurde.

In der DDR durfte der Roman, der die Umweltverschmutzung in Bitterfeld anprangert, nicht erscheinen. Da half es auch nicht, dass Maron der Stasi, für die sie eine Zeit lang über „BRD-Personen“ informierte (ausgenommen enge Freunde), treuherzig Teile des Manuskripts zu lesen gegeben hatte. Im Jahr 1981 erschien „Flugasche“ in der Bundesrepublik und erregte dort einiges Aufsehen.

Ausgerechnet das im Roman als „schmutzigste Stadt Europas“ geoutete Bitterfeld, dessen marodes Kraftwerk täglich 180.000 Tonnen Kohlestaub auf den Köpfen seiner Einwohner ablagerte, ist heute Sitz des weltgrößten Solarzellenherstellers, Q-Cells. Der Himmel über Bitterfeld ist nun oft blau, was die Autorin mit spürbarer Freude immer wieder erwähnt. Obwohl selbst nicht Tochter dieser Stadt, scheint es fast, als fühle sie sich für sie verantwortlich – zumindest für ihr Image. Denn das ist auch durch den Erfolg von „Flugasche“ so nachhaltig ramponiert worden. So ist es wohl als eine Art Ehrenrettung anzusehen, wenn die Autorin sich nach Sachsen-Anhalt begeben hat, um eine Geschichte aufzuschreiben, die zwar in der Wirtschaftspresse schon eingehend kommentiert wurde, aber noch nicht im kollektiven Bewusstsein angekommen scheint.

Es ist eine ost-west-deutsche Erfolgsstory, wie es sie in den Feuilletons und den Reportageressorts eher selten zu lesen gibt.

Maron hat ihr Buch einem Mann gewidmet, den sie selbst nicht mehr treffen konnte: dem 2006 verstorbenen Ingenieur Reiner Lemoine, der in den siebziger Jahren mit Kommilitonen von der TU Berlin das Ingenieurskollektiv „Wuseltronik“ („Wind- und Sonnenelektronik“) gründete. Da die Wuseltroniker für manche Vorhaben Solarmodule brauchten, beschlossen sie, diese selbst zu produzieren, und gründeten die Solon AG.

Doch Solarmodule herzustellen ist sehr kostspielig, wenn man die dafür benötigten Solarzellen teuer einkaufen muss. Aus diesem Gedanken entstand Q-Cells. Lemoine und seine Partner hatten nur sechzigtausend Mark Startkapital und wollten davon eine kleine Solarzellenfabrik in Berlin-Kreuzberg errichten.

Für die Produktion von Solarzellen aber reichte der Kreuzberger Strom nicht aus, und da das Wirtschaftsministerium von Sachsen-Anhalt ihnen beharrlich goldene Brücken baute, unter der Bedingung, dass sie als Standort Bitterfeld wählten, zogen die Berliner dorthin. Neunzehn Arbeitsplätze brachte das am Anfang, das war im Jahr 2001. Heute sind es 2.300.

Monika Maron lässt nicht unerwähnt, dass es auch Q-Cells in Zeiten der globalen Wirtschaftskrise schlechter geht. Doch das mindert nicht die Wirkung dessen, was sie uns zu lesen gibt. Ohne sich um chronologische Stringenz zu bemühen, stellt sie ein facettenreiches Bild von einem Bitterfeld her, das seine so stolze wie schmutzige Vergangenheit eingetauscht hat gegen eine Gegenwart, deren ökologische und wirtschaftliche Bilanz nach vorne weist.

Auffällig ist an diesem Band, der auch zahlreiche doppelseitige Farbfotografien des Fotografen Jonas Maron (Sohn der Autorin) enthält, allerdings der implizite Widerspruch zwischen Text und Bild.

Während es der Autorin ein großes Anliegen ist, zu zeigen, welch einen Unterschied das Engagement Einzelner für die Entwicklung einer ganzen Region machen kann, und während sie geradezu wütend fragt: „Warum eigentlich haben in den letzten zwanzig Jahren nicht Leute wie [die von ihr Porträtierten] das öffentliche Bild von den Ostdeutschen geprägt?“, nimmt der Fotograf einen völlig anderen Blickwinkel ein.

Jonas Marons Bilder interessieren sich nicht für die Menschen, sondern für den Raum. Der aber ist oft leer. Wenn Personen vorkommen, so sieht man sie irgendwo am Rand, meist von hinten. Da mag Maron-Mutter noch so sehr die erzielten Erfolge beschwören – aus den Fotos von Maron-Sohn gewinnt man eher den Eindruck, dass noch ein weiter Weg zurückzulegen ist, bis aus dem Wirtschaftsstandort, auf den man stolz sein kann, eine Gegend geworden ist, in der man auch gerne leben möchte.

■ Monika Maron: „Bitterfelder Bogen. Ein Bericht.“ Mit Fotografien von Jonas Maron. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 173 Seiten, 18,90 €