Die Grenzen der Hygiene

FRÜHCHEN Bei der Dokumentation gab es Mängel am Klinikum Bremen-Mitte – darin waren sich die Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss gestern einig

Der Wasseranschluss sollte „wegen hoher Keimzahlen“ nicht benutzt werden

Auf dem Faxgerät trudelt eine Meldung über einen auffälligen Keim-Befund ein, der Assistenzarzt sichtet sie und heftet sie in den Ordner zur Dokumentation. Das war das bisherige System der Erfassung von Krankenhauskeimen im Klinikum Bremen-Mitte (KBM). Dass eine Häufung von Infektionsfällen mit einer solch handschriftlichen Dokumentation im Grunde nur zufällig erkannt werden konnte, war der Tenor der Zeugen, die gestern vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss „Krankenhauskeime“ aussagten.

Auch auf der Neonatologie des KBM wurden Keiminfektionen so dokumentiert. Auf der Station starben 2011 vier Frühchen, die mit dem ESBL-Keim infiziert waren, bei 19 weiteren, so stellte sich später heraus, wurde der Keim nachgewiesen.

„Solch eine reine Papier-Erfassung stößt recht schnell an Grenzen“, sagte Sebastian Schulz-Stübner vor den Ausschussmitgliedern. Der Mediziner arbeitet als Krankenhaushygieniker für das deutsche Beratungszentrum für Hygiene in Freiburg. Vom Chef des Klinikkonsortiums „Gesundheit Nord“ (Geno), Diethelm Hansen, war er im November beauftragt worden, zu klären, was in Zukunft hygienisch anders geregelt werden solle. Zwei Tage war Schulz-Stübner mit einem Kollegen vor Ort, der gestern ebenfalls befragt wurde.

Nach Informationen des Weser-Kurier enthält ihr Bericht eine lange Liste an Hygiene-Mängeln: „Absaugkatheter“ seien „offen gelagert“ worden, „Spülschwämme in der Elternküche potenzielle Keimquellen“, an einem Wasseranschluss hätten die Hygiene-Experten eine Warnung entdeckt, dass der Anschluss „wegen hoher Keimzahlen nicht benutzt werden soll“.

Vor dem Untersuchungsausschuss sagte Schulz-Stübner gestern, die meisten Hygiene-Vorschriften seien eingehalten worden. Bei der Dokumentation von Keimauftritten aber fehlten klare Zuständigkeiten bei den Ärzten: „Letztendlich hat sich der gekümmert, der gerade Dienst hatte“. Schulz-Stübner empfahl, die Erfassung von Infektionen in Zukunft auf den Computer umzustellen, wie es an vielen Kliniken üblich sei und mittlerweile auch von der Geno geplant werde. Eine wöchentliche „infektiologische Visite“, ein Rundgang, gemeinsam mit KrankenpflegerInnen, ÄrztInnen und Hygiene-Beauftragten wäre sinnvoll und: die Aufstockung von Hygiene-Fachkräften. „Hier sind zu wenig Stellen besetzt“, so Schulz-Stübners. Ob auf der Frühchenstation überhaupt genug Personal vorhanden sei, dazu könne er keine Aussagen treffen.

Auch Justiz-Staatsrat Matthias Stauch wollte sich dazu nicht äußern. Er hatte im Untersuchungsausschuss zuvor seinen bereits veröffentlichten Bericht vorgestellt, den er im Auftrag von Bürgermeister Jens Böhrnsen erstellt hatte. Auch Stauch stellte große Mängel in der Dokumentation fest. Die Fälle seien Wochen zu spät gemeldet worden, von der Klinik wie vom Gesundheitsamt. JPB