Liebe zwischen Persern

Das Theater Aachen macht seine Lage im Dreiländereck zum Thema. Peer Wittenbol zeigt mit „Mutterliebe“ die mythologische Geschichte vom Raub der Persephone als deftigen Familienstreit

VON STEFANIE TYROLLER

Belgische Fritten und Reisfladen oder Sonntagsshopping in den Niederlanden gehören ebenso selbstverständlich zum Aachener Lebensstil wie Kurzurlaube an der belgischen oder holländischen See. Das Theater Aachen hat dieses regionale Multikulti in Form deutscher Erstaufführungen auf den aktuellen Spielplan gehoben. Nach dem zartmelancholischen Kneipenstück „Bistro Martino“ des Belgiers Arne Sierens und der duftig-ironischen Romanze „Auf in die Liebe“ des Niederländers Ko van den Bosch hatte nun „Mutterliebe“ von Peer Wittenbols Premiere.

Der Niederländer serviert die mythologische Geschichte vom Raub der Persephone durch den Unterweltgott Hades als deftigen Familienstreit, in dem sich der Konflikt am Gegensatz von Muttergefühlen und Sexualtrieb entzündet. Großspurig erlaubt Hauptgott Zeus, dass Hades seine Tochter Kore als Braut in die Unterwelt entführt. Deren Mutter Demeter, die Göttin der Fruchtbarkeit, wird nicht gefragt. Über den unerwarteten Kindesverlust wird sie zur Furie und verwüstet die ganze Erde. Zeus zieht den Kürzeren. Die Tochter kehrt zur Mutter zurück.

Der göttliche Olymp ist in Aachen (Ausstattung: Angelika Wedde) ganz irdisch in einem gutbürgerlichen Salon platziert. Unmengen von Perserteppichen verkleiden Fußboden und Wände; an der Seitenwand steht die Seele des gehobenen Bürgertums - ein Klavier, das nie gespielt wird. Zwischen all dem Plüsch entwickelt Regisseur Kay Wuschek mit seinen Schauspielern ein gut austariertes Konversationsstück, das die Wortgefechte der Götter zum Klingen bringt und die oft plastisch-derbe Bildersprache des Autors wohltuend distanziert.

Vor allem Peter Priegann als Zeus, dem die Schilderung des sexuellen Aktes in allen Variationen obliegt, brilliert als eitler und selbstverliebter Salontiger im teufelsroten Outfit. Aus seinem Munde klingt ein Satz wie „Du verbrauchst deinen Schwanz mit Pissen, Elender“ wie die Verszeile aus einem Frühlingsgedicht. Dieser Typ krankt nicht nur an seiner ernormen erotischen Selbstüberschätzung, er ist auch als Stratege ein völliger Versager. Mit seinem misslungenen Krisenmanagement in Sachen „Mutter trösten“ hat er seine Führungsposition im Olymp eindeutig verspielt. Beeindruckend, wie Autor Wittenbols das eigene Geschlecht so der Lächerlichkeit preisgibt. Die Inszenierung setzt noch einen drauf und lässt Zeus bei Demeter derart unterhaltsam abblitzen, dass sein Ruf als Frauenbeglücker für alle Zeiten zerstört sein dürfte. In dieser Situation darf auch Demeter (Marita Breuer) endlich das künstlich aufgeblasene Geflenne um die Tochter aufgeben und stößt Zeus lustvoll und souverän von der Bettkante. Zweifaches Opfer dieses Streits um männlichen Triebstau und Gluckengehabe ist Kore. Ungefragt als Braut verschachert, erlebt sie bei Hades ihre sexuelle Erweckung. Die zarte Liebe zwischen ihr und Hades wird durch uneinsichtige Mutterliebe wieder zerstört. Angesichts dieser kleinen Tragödie versandet der Schluss in der Inszenierung etwas: der Kinderchor des Theaters Aachen gibt das zwischen allen Szenen eingespielte „Moon River“ nochmals zum Besten.

Mehr flandrische und niederländischer Dramatik in Aachen gibt es auf einem Festival, dass das Theater vom 23. bis zum 27. Juni ausrichtet. Neben szenischen Lesungen werden zwei aktuelle belgische Inszenierungen präsentiert. Am Abschlussabend soll sich alles um junge, noch nicht übersetzte Autoren aus der Grenzregion drehen.

MutterliebeSa, 20:00 Uhr, Theater AachenInfos: 0241-4784244