Eine neue Lippe riskieren

In Wesel soll eine neue Rheinbrücke mit zwei Zufahrtstraßen gebaut werden. Dafür muss der Fluss Lippe umgeleitet werden. Umweltschützer befürchten durch das Projekt eine Belastung der Natur

VON HOLGER PAULER

Die Lippe muss dem Straßenverkehr weichen. Die Flussmündung in den Rhein soll in den nächsten Jahren nach Süden verlegt werden. Stadt Wesel und Bezirksregierung Düsseldorf wollen heute die Verträge über das umstrittene Großprojekt unterschreiben. Auf dem Programm steht der Ausbau der Bundesstraße 58. Dazu gehört der Bau einer neuen Rheinbrücke, sowie jeweils eine Nord- und eine Südumgehung für die Stadt – dadurch soll der Engpass an der alten Rheinbrücke entlastet werden. Das Vorhaben kann noch in diesem Jahr starten. Einzelheiten über Kosten, Umfang und Dauer wollten weder Bezirksregierung noch der Lippeverband, quasi als Hüter des Flusses, vor der heutigen öffentlichen Bekanntmachung des Projektes nicht bekannt geben.

Bei den Umweltverbänden stößt die Verlegung der Lippemündung auf ein geteiltes Echo. „Der Verkehr wird dadurch kaum entlastet“, sagt Werner Reh, Verkehrsexperte im nordrhein-westfälischen Landesverband des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Das Projekt sei überflüssig, da die Ortsdurchfahrt, mit einem täglichen Verkehrsaufkommen von 18.900 Kraftfahrzeugen, als durchaus „verträglich“ gilt. Der BUND unterstützt zwar die Erneuerung der Rheinbrücke und die Nordumgehung, wenn diese umweltverträglich gestaltet wird; die Südumgehung über die Lippeauen lehnt er allerdings ab: „Der Bedarf ist nicht da, außerdem ist das Vorhaben ökologisch äußerst zweifelhaft“, so Reh.

In den Lippeauen befindet sich nach Angaben des BUND ein Gebiet, das nach der so genannten Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) der EU, als schützenswerter Lebensraum für gefährdete Tiere und Pflanzen gilt. Dieses FFH-Gebiet wird schon jetzt durch ein Gewerbegebiet beeinträchtigt. Besonders die am Niederrhein sehr gewichtige Kiesindustrie hat sich hier breit gemacht – mit unkalkulierbaren Folgen für die Natur. Durch den Bau der Südumgehung wird jetzt ein weiteres Gewerbegebiet entstehen. „Lärm und Verschmutzung nehmen zu“, sagt Johan Mooij von der Biologischen Station im Kreis Wesel.

Den Umweltverbänden wurde von Seiten der Stadt und der Bezirksregierung dabei zugesagt, dass der Umbau so natürlich wie möglich von statten gehen soll, „dies wird wahrscheinlich nicht der Fall sein“, befürchtet Mooij. Der schon kanalisierte Flusslauf wird breiter, die Auen verschwinden. „Die Politik sagt, dass der Flächenverbrauch gestoppt werden soll, es passiert aber nichts“, sagt Mooij.

Eine Entwicklung, die auch Werner Reh sieht: „Die Stadtzerstörung nimmt zu.“ Landesweit stieg der Flächenverbrauch zwischen 1975 und 2001 permanent an. Mittlerweile sind knapp ein Viertel aller Flächen der Siedlungs- und Verkehrspolitik zum Opfer gefallen. Natürlicher Lebensraum wird dadurch zerstört.

Doch gerade im Bereich der Flusslandschaften hat in den letzten Jahren ein Umdenken stattgefunden: „Seit den 60er oder 70er Jahren ist man eigentlich davon abgekommen, die Flüsse umzuleiten“, sagt Werner Reh, „das Lippeprojekt dürfte das letzte dieser Art sein.“ Der Lippeverband will mit dem 1996 ins Leben gerufenen „Lippeauenprogramm“ der 220 Kilometer langen „Schwester der Ruhr“ ihr „Eigendynamik wieder geben“. Der Fluss soll sich wieder natürlich entwickeln. Fischtreppen wurden eingerichtet, Begrenzungen abgebaut.

Eine Vorgehensweise, wie sie der Kooperationspartner Emschergenossenschaft schon seit 30 Jahren betreibt. Der zum Abwasserkanal des Ruhrgebiets verkommen Fluss soll über einen langen Zeitraum renaturiert werden. Der ursprüngliche Flusslauf wird so weit es geht wieder hergestellt. Übrigens wurde die Mündung der Emscher in den Rhein im vergangenen Jahrhundert zweimal umgelegt. Vom durch Thyssen mittlerweile verdrängten Duisburger Stadtteil Alsum nach Duisburg-Walsum, später dann nach Dinslaken. Die „Alte Emscher“ wurde in der Folge als Abwasserkanal benutzt.