Bedeutungsvolle Kindlichkeit

GROSSES POPHANDWERK Alben veröffentlicht Andreas Dorau nur alle paar Jahre – weil es nicht so einfach ist, dem eigenen Anspruch gerecht zu werden. Jetzt meldet sich der Mann mit der seltsamen Stimme und dem subtilen Humor mit „Todesmelodien“ zurück

Subtiler Humor ist bei Dorau stets einer, über den man wie versehentlich stolpert

VON MICHAEL SAAGER

„Single, man nennt dich Single / Du nennst dich Single / Und dein Leben dreht sich im Kreis“. Nicht wahr? Ein originelles Doppelbild hat Andreas Dorau da entworfen. Ein melancholisches Bild, denn bevor es zum hymnischen Disco-Glam-Refrain inmitten verstimmter Bar-Pianos und shuffliger Breaks kommt, singt der 48-jährige Hamburger, eingestimmt von einem herrlichen „Aaah-aaah-aaah-ah“ aus weiblicher Kehle: „Du hast zwar eine schöne Hülle / Doch deine Seele, die ist schwarz / Deine Zahl ist Fünfundvierzig / Und du glaubst bereits, das war’s.“

Tatsächlich: Die Zeit der 7-Inch-Platte, der Single, ist vermutlich für immer vorbei. Und wie steht’s um unsere Midlife-Crisis-Gebeutelten, von denen der Song außerdem erzählt? Ihre Gedanken drehen sich zusehends um Endlichkeit und Vergänglichkeit – der Tod rückt ihnen spürbar auf die Pelle. Zumindest fühlt es sich an verregneten, milchig-trüben Wintertagen so an. Vor allem, wenn man allein ist und der Sinnhorizont nurmehr ein viel zu enger Streifen am Rande des Blickfeldes. Man kann auch Selbstmitleid dazu sagen. Und Inga Humpes trauriges „Wow-uh“ passt ganz ausgezeichnet.

Es ist die hohe Kunst des Texteschreibens, die in Doraus Stück „Single“ hell wie großes Pophandwerk aufscheint, schlicht weil es sich um solches handelt. Eine Kunst, die nicht zuletzt darin besteht, Sauschwieriges kinderleicht aussehen zu lassen. Subtiler Humor, der bei Dorau stets einer ist, über den man wie versehentlich stolpert, kommt hinzu.

Doraus achtes Studioalbum, auf dem der Künstler zusammen mit einer Reihe befreundeter Musiker (Mense Reents, Jakobus Siebels und Inga Humpe) einmal mehr refrainorientierten Discopop, NDW, Kunstliedpop und House souverän zu verbinden weiß, trägt den programmatischen Titel „Todesmelodien“. Und wenn der Dorau erzählt, er würde nur alle fünf oder sechs Jahre ein Album veröffentlichen können, da es eine halbe Ewigkeit braucht, bis er genügend Texte beisammen hat, dann ist das also nicht so sehr eine Konsequenz von Trägheit, sondern vor allem eine des eigenen Anspruchs.

Dann und wann muss deshalb der tolle Berliner Autor Wolfgang Müller ran. Laut Dorau benötigt Müller für einen Songtext ungefähr eine Stunde. Andererseits ist Dorau, dem wir den NDW-Überhit „Fred vom Jupiter“ (1981) verdanken, niemand, der auf Teufel komm raus Geld mit Musik machen muss. Dorau hat Film studiert, schreibt Drehbücher und arbeitet als Video-Consultant, unter anderem für Xavier Naidoo. Musik ist Doraus zweites Standbein.

Musikalischer Erfolg ist natürlich trotzdem eine feine Sache fürs Künstlerego; wenngleich sich dieser Erfolg die letzten Jahre auf gute Musikkritiken im Popfeuilleton beschränkte. Dorau ist zwar nicht „out“, aber „in“ eben auch nicht. Und eigentlich ist das sogar ganz praktisch: Gerade weil der Mann kein Zeitgeistphänomen ist, kann er vermutlich sehr lange so weitermachen.

Zumal mit dieser seltsamen Stimme, die mit zunehmendem Alter immer noch heller und jungenhafter, ja regelrecht kindlich zu werden scheint. Sie singt uns von Unfallgedenkstellen („Es war hell“) oder vom Pflegeheim („Ausruhen“) und die ungewöhnliche Ambivalenz, die sich ergibt aus kindlichem Klang und nachdenklicher, nachgerade dunkler Bedeutung ist, nun ja, ziemlich einmalig und durchaus grandios.

■ Sa, 21. 1., 21 Uhr, Indra, Große Freiheit 64 (mit Alle-Beatles-Platten-ins-Deutsche-Übersetzer Klaus Beyer)