ORTSTERMIN: BREMENS PROMINENTESTER BÜRGERMEISTER REDET PROMINENT ÜBER DAS ALTER
: Wenn Henning Scherf nach vorn schaut

„Zustimmung von den Bürgerlich- Konservativen tut natürlich auch gut“

Henning Scherf, 71, Buchautor und ehemaliger SPD-Bürgermeister

Henning Scherf war quasi am Tatort, also im Bremer Rathaus. Oft kommt er nicht zurück, gestern war der historische Kaminsaal bis auf den letzten Platz gefüllt. Scherf liest aus seinem neuen Buch: „Wer nach vorn schaut, bleibt länger jung“. Seitdem er nicht mehr im Amt sei, schreibe er ein Buch nach dem anderen, sagt der langjährige Bremer Bürgermeister – und verrät dann, dass er im Grunde schreiben lässt: Herder-Herausgeber Rudolf Walter hat mit ihm rund 25 Gespräche geführt, hat sie aufgezeichnet und daraus das Buch gemacht.

Das erklärt den Plauderton. Auf die Frage nach dem „gelingenden Leben“ heißt es da: „Glück ist keine Kategorie von Haben und Besitzen.“ Und: „Lass dich nicht leben, lebe!“ Solche Sätze werfen mehr Fragen auf als sie beantworten – insbesondere wenn sie aus dem Munde eines Politikers kommen, dessen Terminkalender über Jahre von seinem Vorzimmer und von Sachzwängen bestimmt war. Wenn der heute 71-jährige Scherf eingesteht, dass seine Kinder eher von seiner Frau erzogen wurden, wird deutlich, dass er selbst oft nicht nach seiner Altersweisheit gelebt hat.

Aber das Lese-Publikum liebt diese allgemeinen Sätze. Der Verlag dränge ihn immer wieder zu neuen Büchern, weil sie sich so gut verkaufen, sagt Scherf. Und er selbst genieße es natürlich auch, gefragt zu sein.

Politik? „Ich bin froh, dass ich da raus bin“, sagt Scherf. Über die zwölf Jahre, in denen er der Bürgermeister von SPD und CDU war, sagt er: „Das wurde meine beste Zeit.“ Jahrzehntelang sei er „nur für den linken Teil der Gesellschaft attraktiv“ gewesen, er war Kriegsdienstverweigerer, Atomwaffengegner, Sozialsenator. Dass Scherf dann als Repräsentant der großen Koalition denselben Optimismus ausstrahlte, den er vorher als SPD-Linker versprühte, erklärt er ganz einfach: Die „Zustimmung von den Bürgerlich-Konservativen tut natürlich auch gut“.

Aber das neue Scherf-Buch ist kein politisches Buch, es ist der erste Band einer geplanten Reihe des Herder-Verlags unter dem Titel „Life lessons“. Deswegen darf das Kapitel:„Wie ich sterben möchte“ darin nicht fehlen. „Der Tod ist ein Teil des Lebens“, verkündet Scherf. Gut verkauft und gelesen werden die Scherf-Bücher auch wegen Sätze wie diesem: „Natürlich ist Alter kein Honigschlecken.“ Seine Lebenserfahrung sei, dass schwierige Lebenslagen besser zu meistern seien, wenn man sich auf das Positive konzentriere. Gerade auf solche Sätze, so schreibt Scherf selbst, habe er oft die Reaktion erfahren: „Gut, dass jetzt öffentlich darüber geredet wird. Das können wir doch nicht alles privat lösen.“  KLAUS WOLSCHNER