: Herr Pipa und die Kunst
SKIZZEN Zum Reisen gehört das Irren, und auch das Zweifeln. Neun unverstandene Lektionen aus Kamerun. Von Yaoundé zum Atlantik
■ Yaoundé: Kameruns Hauptstadt (1,3 Millionen Einwohner ) wurde 1889 im Auftrag der deutschen Kolonialverwaltung als Basislager für den Elfenbeinhandel gegründet.
■ Edea: Stadt mit 125.000 Menschen; machten deutsche Kolonialisten zum Verkehrsknotenpunkt.
■ Kribi: 60.000 Einwohner, entstand als Ansiedlung deutscher Kaufleute im 19. Jahrhundert.
■ Christoph Schlingensief: 1960–2010, Regisseur, Autor und Aktionskünstler arbeitete oft in Afrika.
■ Novalis: 1772–1801, Dichter der Frühromantik und Bergbauingenieur.
■ Paul Biya: geb. 1933, ist seit 1982 Präsident von Kamerun.
■ Ahmadou Ahidjo: 1924–1989,war von 1960 bis 1982 Präsident von Kamerun.
■ Pascal Marthine Tayou: Künstler aus Kamerun
■ Emile Youmbi: Künstler aus Kamerun
■ Panthersprung nach Agadir: Das deutsche Kanonenboot „Panther“ wurde 1911 nach Agadir gesandt als Drohung. Frankreich sollte Kolonialgebiete an das Deutsche Reich abtreten. Im Gegenzug erkannte Deutschland Frankreichs Herrschaft über Marokko an.
VON ANGELIKA OVERATH UND BARBARA SPENGLER-AXIOPOULOS
1. Lektion
Niemand hat ihn kommen sehen. Er lächelt entschuldigend, als sei er nicht da. Er, Monsieur Pipa, hält fest, was im Goethe-Institut, Yaoundé, geschieht. Seit 15 Jahren arbeitet er im Haus.
Richard Pipa ist technischer Leiter, Bühnenbildner, Regisseur, Autor eines Stücks über afrikanische Straßenkinder, und manchmal erzählt er von seiner Arbeit mit Schlingensief. Heute fotografiert er 22 Deutschschüler, Schülerinnen und ihre Lehrerinnen im Workshop Kreatives Schreiben. In das samtene Klicken der Kamera fallen Sätze:
– „Giraffe, wohin gehst du? Ich bin der Geist deiner Ahnen.“ (Kisito)
– „Der Biss der Regentropfen auf der Haut war angenehm.“ (Kathy)
– „Ich liebte meinen Hund. Sein Fell war schwarz wie Schokolade. Er roch nach frischen Kirschen.“ (Hermand)
– Das Leben in Kamerun ist eine Baustelle.“ (Edith)
2. Lektion
Für Monsieur Pipa ist Irene Bark, die Direktorin des Goethe-Instituts, eine Chefin, deren Bürotür immer offen bleibt. Die blonde Fünfzigjährige hat einmal in Tübingen über die Symbolik der Steine bei Novalis promoviert. Wenn sie zurückfährt in die schwäbische Kleinstadt, kann sie nur schwer vermitteln, wie sie hier lebt. Wie soll sie ihren Freuden erklären, dass sie einen Wächter vor ihrer Haustür hat, Tag und Nacht.
Am Goethe-Institut lernen 2.000 Schüler. Täglich kommen 500 junge Menschen ins Haus. Yaoundé ist eine Stadt, in der 70 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu Trinkwasser haben. Im Goethe-Institut gibt es helle Räume und Klimaanlagen, eine Bibliothek, Computer mit Internetzugang. Wasserhähne. Fließendes Wasser. Monsieur Pipa hat einen Slogan kreiert: „Avec toi, Goethe, j’écris les plus belles pages de ma vie.“ – Mit dir, Goethe, schreibe ich die schönsten Seiten meines Lebens.
3. Lektion
Es gibt in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns, eine Golfanlage mit kurz gehaltenem Rasen und im Schlamm wegrutschende Slums. Es gibt Erdöl, Kakao, Kaffee, Baumwolle, Holz, Aluminium für den Export und Malaria, Cholera, Typhus, Analphabetismus, Armut für die meisten seiner Einwohner. Es gibt die koloniale Vergangenheit und die postkoloniale Gegenwart, in der die alten Strukturen polypenhaft nach dem Alltag greifen. Und es gibt die irre Utopie, Selbst- und Fremdbilder über das Medium Kunst neu zu bedenken und von da zu einer neuen afrikanischen Identität zu finden.
4. Lektion
Edea ist eine kleine Stadt mit einem breiten Wasserfall und einem riesigen Aluminiumwerk, gelegen zwischen Yaoundé und der Wirtschaftsmetropole Douala unten am Meer. Gegossen und vormontiert in Oberhausen, Ruhrgebiet, überspannt hier eine hundert Jahre alte Eisenbrücke mit 160 Metern den Sanaga, Kameruns längsten Fluss.
Trotz ihrer deutsch-kolonialen Vergangenheit (von 1884 bis 1919) mögen die Kameruner die Deutschen. Jedenfalls mehr als die Franzosen. Es waren die Franzosen, die bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2011 Paul Biya – er ist seit 29 Jahren im Amt –applaudierten, obwohl Wahlmanipulationen offenkundig waren. Und die Kameruner erinnern sich an den „La guerre cachée“, den versteckten Krieg, in den 1960ern bis Anfang der 1970er Jahre. In jenen Befreiungsunruhen gegen den Diktator Ahmadou Ahidjo wurden mit französischer Unterstützung zehntausende Kameruner hingemetzelt.
Später Novembernachmittag. Goldenes Licht über dem Sanaga, der träge dahinfließt. Eine Piroge liegt wie gemalt im Wasser; ein Umstand, der dem Mann, der Fische fangen will, vermutlich egal ist. Auf der Brücke weichen Schulkinder in blauen Uniformen schlängelnden Mopeds aus. Frösche quaken in das Hupen hinein.
Monsieur Pipa fotografiert nicht. Nicht die Delegation des Goethe-Instituts, die sich mit Vertretern der Stadtverwaltung Edeas der Brücke nähert. Nicht die Militärs mit Maschinengewehren. Monsieur Pipa verteilt Wasserflaschen. Erklärungen. Handygespräche. Warten. Dann besichtigt die Delegation Betonstümpfe. Hier werden auf Säulen bald die Figuren des Kameruner Künstlers Pascal Marthine Tayou stehen. Die Delegation schaut hinunter in Dreckgruben. Die Militärs schauen auf die Delegation.
Im Januar wird, anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens des Goethe-Instituts, die gusseiserne Brücke von Edea zur Kulturbrücke. Vielfältigste Inszenierungen soll es geben. Darunter ein afrikanisches Performance-Stück: „Der andere Faust“. Und es werden von da an acht überdimensionale Figuren, „colons“, als Betonpassanten an den Brückenenden stehen – eigenartige Hybridwesen, Afrikaner in europäischer Kleidung, Europäer mit dunkler Haut.
Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?
5. Lektion
Finsternis. Die Straßenschneise nach Douala ein teeriger Strom. Der Autoscheinwerfer trifft Frauen, die Lasten auf Köpfen balancieren, als seien sie leicht. Aufblitzende Fische, Wurzeln, Plastiksandalen – Sekundentäuschungen von Einzelnem. Dann wieder Dickichte beladener Händler. Kinder verschwinden im Gebüsch. An den Straßenrändern fließen die Menschen weiter, elektrisch, gierig, flüssige Lava hinein in die Megacity, die hochkocht und die Massen, die sie auswirft, irgendwie verdaut.
Die Lichter nehmen zu. Eine Aufhäufung von Bananen wie Trost. An bunten Sonnenschirmen sagen Schilder, dass Chipkarten für Mobiltelefone hier billiger seien. Eine alte Frau brät Fische, zärtlich wendend über einem verbeulten Rost.
Monsieur Pipa hat für die Nacht das ehemalige koloniale Seemannsheim ausgesucht. Ein Park. Ein Swimmingpool. Das Isenbeck-Bier mit dem Emblem der Brücke von Edea ist kühl.
6. Lektion
Doual’art, Zentrum für zeitgenössische Kunst. Didier Schaub, gebürtiger Elsässer, bietet Zitronenwasser an im ehemaligen Königspalast, der zwischenzeitlich ein Kino war. Seine Frau, Prinzessin Marilyn Douala Manga Bell, eine Urenkelin des 1914 wegen Widerstands gegen die deutsche Kolonialmacht hingerichteten Königs Rudolf Douala Manga Bell, ist auf einem Kulturkongress in Ghana. Wir haben drei Kinder, sagt der Elsässer, zwei Söhne und die Kunst.
85 Prozent der Bewohner Doualas leben in Armut.
Seit zehn Jahren entwickelt doual’art Kunstprojekte im öffentlichen Raum. Auch Pascale Marthine Tayou, der die Colons für die Brücke entworfen hat, ist vertreten mit einer zwölf Meter hohen Skulptur aus Kochtöpfen, eine Hommage an die afrikanischen Mütter.
Kunst in Douala ist auch Erinnerungsarbeit. Im Ausstellungsraum von doual’art laufen Videos, auf denen Menschen über die komplizierte Zeit der Unabhängigkeit seit 1960 sprechen. Monsieur Pipa fotografiert eine weiße Frau, die vor den Videos mitschreibt.
7. Lektion
Kribi am Atlantik. Die Palme biegt sich gegen die Wellen wie im Kinderbuch, das in Afrika spielt. Beim Fischmarkt am Hafen sitzen Jünglinge auf Einbäumen und tippen in Handys. Eine deutsche Kirche. Eine Missionsschule. Ein Friedhof. „Hier ruht in Gott / der Matrose Gustav Wilde / von S.M.S. Panther / geb. den 23. Juli 1887 zu Berlin / gest. den 9. Oktober vor Kribi 1910 beim Kentern eines Boots.“ Panther? Der Panthersprung nach Agadir! Kanonenboote schreiben Geschichte; Beiboote gehen unter. Gras, Gras und verwitternde Steine.
Am Abend das narkotisierende Anschlagen des Atlantiks. Wir sind keine Bauern, sagt Monsieur Pipa. Wir sind Fischer. Er spricht von den Göttern des Wassers, den Krabben-, den Muschelorakeln des Meers.
Schlamm und Fliegen. Im Bus zurück nach Yaoundé, fünf Stunden, sechs. Aus Dreierreihen werden Viererreihen, die im Leibespuzzle dann auch für fünf Reisende taugen. Eine füllige junge Frau mit einem Töchterchen im blütenweißen, gestärkten Kleidchen platziert sich. Das Mädchen ist auf die Mutter fixiert. Gleich bekommt es einen klebrigen Lutscher in die Hand. Als der Fahrer den Motor anwirft, kommt Monsieur Pipa mit einem voluminösen, in Plastik gewickelten Fisch. Er wird auf dem Dachgepäckträger festgezurrt. Letzte Händler wedeln mit Fächern glasierter Fleischspieße. Dann rollt der Bus. Profis schlafen sofort ein. Eine Frau, die samtenen schwarzen Brüste in Spitzen gebettet wie in Baiser, lehnt gegen ihre Nachbarin, deren Kopf mit der Jochbeinpartie einer Antilope auf der Lehne des Vordersitzes zur Ruhe gekommen ist. Vom Dach über die Scheibe läuft das Tropfwasser von Monsieur Pipas Fisch.
8. Lektion
Grünes Niemandsland in Richtung Flughafen. Schilf und offene Mauern. Emile Youmbi, ein bekannter Künstler Kameruns, der mit Tayou zusammenarbeitet, führt in sein Lehmatelier. Hier stehen die hölzernen Originalcolons, die Tayou von der Elfenbeinküste mitgebracht hat. Monsieur Pipa bückt sich zu den komischen Holzpuppen, Kolonialherren und -damen, die als Afrikaner und Afrikanerinnen, in Anzug oder Uniform, mit Tropenhelm, Bowler Hat, Kamera oder Stethoskop dastehen. Doch zementblass lehnen schon ihre riesenhaften Nachfahren an der Wand. Emile Youmbi hat sie in Beton realisiert. Bald werden sie in optischer Täuschung als acht interkulturelle Flaneure über die Brücke von Edea gehen.
9. Lektion
Tayou aber hat noch eine neunte Figur erdacht: den traditionellen Chef, barfuß, barhäuptig, in Kontakt mit Himmel und Erde. Monsieur Pipa lächelt und dreht an der Blende; er sieht: das ist der König der Kunst. Im Schutz der heiligen Neun wird der Patriarch beobachten, was auf der deutschen Brücke über dem afrikanischen Fluss seltsam hoffnungsvoll beginnt.
■ Angelika Overath, Autorin, zuletzt erschien „Alle Farben des Schnees“ über ihr Leben als Zugezogene in einem Schweizer Dorf
■ Barbara Spengler-Axiopoulos, Journalistin, lebt in Heidelberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen