Das obere Ende der Wickel

WRAP Dieser Sattmacher, dessen Bezeichnung sich quetschend-gurgelnd irgendwie aus dem Rachen windet – wie kam der nur über uns? Eine Spurensuche

■ Gebacken: Die österreichische oder auch südosteuropäische Palatschinke (korrekte Aussprache: pala-tschinke), ein luftiger Eierkuchen, gefüllt mit Marmelade, Topfen oder auch mit Kalbshirn. Wird gerollt verzehrt und steht völlig zu Unrecht im Schatten des Crêpes.

■ Gerollt: Auch der Döner ist vom Prinzip her ein Wickel, am schönsten als Dürüm Döner, bei dem der Inhalt – im Gegensatz zum meist schon fertig daliegenden Wrap – vor den Augen des Kunden („mit scharf und alles?“) in eine dünn gebackene Teighülle gerollt wird.

■ Gewickelt: Die gute, alte Kohlroulade: jener mit Hackfleisch gefüllte und mit Weißkohl umwickelte Klops, den vor allem unsere Mütter gekonnt zuzubereiten wissen. In dunkler Soße schwimmend, begleitet von Kartoffeln. Wie die Palatschinke und der Döner stets mit Muße und im Sitzen zu verzehren.

VON FELIX ZIMMERMANN

Es gab Zeiten, da galt es als ungehörig, auf der Straße zu essen. Da setzte man sich hin, um sich in Ruhe einer Mahlzeit zu widmen. Mühsam hatte sich die Menschheit im langwierigen Prozess der Zivilisation das Zerlegen und Zummundführen von Lebensmitteln mit Hilfe von Messer, Gabel und Löffel beigebracht, hier konnte diese Errungenschaft mit Muße zelebriert werden: bei Tisch.

Der Unterwegsesser: ein Schnäppchenstöberer

In Zeiten, in denen alles immer schneller gehen muss, ist das aus der Mode gekommen. Man mampft im Gehen, weil die Zeit für andere Dinge benötigt wird. Man sieht die Unterwegsesser deshalb oft beim Shoppen in Fußgängerzonen, wie sie sich im Eilverfahren gebackene Fettteile der Marke mit dem sprechenden Namen „Ditsch“ reinschieben und mitunter nicht so genau wissen, ob sie gerade in die Papiertüte beißen oder noch beim mit käsigem Belag ausgestatteten Teiglappen sind. Hauptsache, eine Hand bleibt frei und kann in Schnäppchen stöbern.

Als die – zumindest optisch – elegantere Form des Ditsch-Fladens ist einmal ein Ding mit schier unaussprechlichem Namen auf den Markt geworfen worden: der Wrap. Gestopftes und Gerolltes, das von Pfannkuchen oder dünnen Broten oder auch Brotartigem umhüllte – nun ja, was eigentlich? – Allerlei, um es mal möglichst wertfrei zu sagen. Denn so ein Wrap bietet unzählige Möglichkeiten der Befüllung. Fleisch diverser Tiere, Gemüse, Käse, Ei. Wer ihn schätzt, findet gerade das ja so toll. Ein Mahl der Möglichkeiten.

Wer eher skeptisch ist, wittert Gefahr: In Mensen und Kantinen, hieß es, solle man davon absehen, Paniertes zu bestellen, weil so allerhand unter der Panade eingebraten worden sein könnte. Und geht nicht der Wrap in genau dieselbe Richtung?

Man weiß nie, was drin ist, sieht in den Auslagen der Bahnhofsbackshops, die zu Wegelagerern des Strebens nach Sättigung geworden sind, immer nur das obere Ende der Wickel, der Rest wird von der Teighülle verdeckt. Es kann also auch der ausgebürstete und mit Saucen angereicherte Inhalt ganzer Großküchen kleingehäckselt darin verschwunden sein. Neulich, so war zu lesen, fand ein Brite einen Frosch in seinem Mund, nachdem er in einen Chicken Wrap gebissen hatte. Das Tier lebte noch, bei genauerem Hinsehen stand fest: Ihm fehlte ein Vorderbein, wahrscheinlich hat der Mann es im Glauben verzehrt, ein besonders zartes Stück Hühnerfleisch erwischt zu haben.

Aber was ist denn auch von einem Sattmacher zu halten, dessen Bezeichnung sich beim Aussprechen irgendwie gequetscht-gurgelnd aus dem Rachen windet, bevor sie in einem ploppenden p endet?

Wie den Wrap verkaufen? So: Salat, gesund – will ich!

Der Wrap kam über uns, irgendwann in den neunziger Jahren, als alles auf Effizienz ausgerichtet war und der mobile Mampf kultiviert und zugleich dem Streben nach gesunder Ernährung angepasst wurde. Gesunde Ernährung, das hieß damals schon vor allem: Salat, weshalb unausrottbar auch heute noch vor allem zu Streifen gerupfte Blätter vom Eisbergsalat oder sich kräuselnde Lollo-Fragmente aus den gerollten Dingern nach draußen drängen, nur um den Kaufwillen zu wecken: grün, Salat, gesund – will ich haben! Eisbergsalat, das ist übrigens der, der immer so schön knackig ist, weil er besonders viel Wasser enthält. Deshalb – womöglich sein einziger legitimer Nutzen – legen ihn Köche, vor allem pseudoindischer Restaurants, gerne unters Gericht auf eine heiße Platte, weil das verdampfende Wasser dann so schön zischelt. Aber das nur am Rande.

Zurück zum Wrap. Aus der Tex-Mex-Küche, heißt es, stamme er, was auch eine Menge über ihn sagt. Tex-Mex-Lokale sind in der Regel die verkitschtesten Lokale, die man sich vorstellen kann, Kunstprodukte der Gastrowelt, ausgeschmückt mit möglichst bunten Dekoartikeln, die in irgendeiner Weise etwas mit Tex-Mex zu tun haben sollen, tatsächlich aber nur der Vorstellung dieser Grenzregion von Nord- und Mittelamerika entspringen. Genauso auch der Wrap, wie er uns angeboten wird. Reiner Fast-Food-Kitsch.

Wer sich trotzdem einen mitnimmt, wird schnell merken, dass der Stopfwickel nur unangetastet einigermaßen hübsch aussieht, dass er zum Verzehr aber völlig ungeeignet ist: wo reinbeißen, wie den zu Würfeln zerhackten Inhalt zusammenhalten, wenn die stramm gewickelte Teighülle angebissen wird und dadurch nachgibt? Dann tropft es und trieft es, Bröckchen fallen, wer jetzt keine Tüte hat, aus der er seinen Wrap zuvor hervorgeklaubt hat und der er ihn nun wieder zuführt, wird eine Spur von Wrap-Resten hinterlassen. Und mit Messer und Gabel vorgehen? Unmöglich.

Man sollte die Wraps dort liegen lassen, wo sie sich lockend auftürmen, bis auch das knackigste Eisbergsalatstreiflein verdorrt ist. Und sich zum Essen wieder setzen.