Vor und nach der Action

KINO Der Däne Nicolas Winding Refn inszeniert „Drive“ als Hommage an die späten 1970er. Mit Ryan Gosling und Carey Mulligan

VON SVEN VON REDEN

Während das 1980er Revival in Musik und Mode auch nach zehn Jahren nur zögerlich aus den Clubs und Konzerthallen weichen will, ist es im Kino nie so richtig angekommen. Hier sehnt man sich weiterhin zurück zu den paradiesischen Zeiten der verschiedenen „Neuen Wellen“, die in den 1960er Jahren in Frankreich begannen und in den 1970ern mit dem New Hollywood so etwas wie eine Apotheose erfuhren – bevor der Sündenfall „Star Wars“ alles zerstören sollte.

Nicolas Winding Refns „Drive“ schwelgt schon in den ersten Sekunden provokant in 1980er Signifikanten. Die Vorspanntitel leuchten rosa auf schwarzem Grund, in einer Schrift, die sofort Dutzende von Filmplakaten aus der Zeit in Erinnerung ruft. Auf der Tonspur pluckert bedrohlich ein billiger Synthierhythmus vor sich hin. Die erste Einstellung zeigt einen telefonierenden Mann im flackernden Neonlicht, auf den Rücken seiner weißen Satinjacke ist ein großer goldener Skorpion genäht.

Im Drehbuch heißt der Mann einfach nur „Driver“, gerade macht er sich auf den Weg zu einem Job. Sein Auftrag: Er soll das Fluchtauto bei einem nächtlichen Einbruch fahren. Als es zur Verfolgungsjagd mit der Polizei kommt, zeigt sich, dass er sein Geld wert ist. Es gelingt ihm, die Wagen der Cops sowie die Polizeihubschrauber abzuschütteln.

Leere Wohnung, Tasche immer gepackt

Am nächsten Tag geht Driver wieder legalen Jobs nach: Er arbeitet als Stuntfahrer für Hollywood, so er nicht gerade Autos repariert. Außer seinem Boss Shannon scheint er keine Bekannten zu haben. Seine Wohnung in einem anonymen Apartmentkomplex mit Blick auf Downtown L. A. ist weitgehend leer. Die gepackte Tasche steht immer bereit. Als Driver seine Vorsichtsmaßnahmen vergisst und sich in die Nachbarin verliebt, bedeutet das den Anfang von seinem Ende.

„Drive“ ist eine Verfilmung von James Sallis’ gleichnamigem Hardboiled-Krimi. Aber Refn und sein Drehbuchautor Hossein Amini haben nicht viel mehr als die Hauptfigur und ein paar Dialog- und Handlungsfetzen übernommen. Die zersplitterte Erzählung des Buchs wurde durch einen linearen Plot ersetzt. Anders als in Sallis’ Version erfährt der Kinozuschauer nichts über Drivers Vorgeschichte. Im Film ist er noch wortfauler als im Roman. Ryan Gosling spielt ihn mit einer stoischen Ruhe, die selbst Steve McQueen wie ein Method-Actor wirken lässt.

Näher als der literarischen Vorlage ist „Drive“ einem filmischen Vorläufer, mit dem er schon vom Titel her leicht zu verwechseln ist: „Driver“ von Walter Hill aus dem Jahr 1978. Wie für viele Bands, die zum 1980er Revival gezählt werden, gilt auch für „Drive“, dass sein Hauptbezugspunkt in den späten 1970ern liegt. Ryan O’Neil spielte damals einen blonden, schweigsamen Fluchtfahrer, der durch ein neonerleuchtetes Los Angeles rast. Über Hills minimalistischen Action-Existenzialismus hat Slavoj Zizek geschrieben, er zeige das „Paradoxon eines Amerikas, das sich selbst mit französischen Augen ansieht“. Zizek analysierte „Driver“ als eine Art Remake von Jean Pierre Melvilles „Samurai“, der wiederum die französische Version eines US-amerikanischen Film noir ist – eines Genres, das wiederum erst im nachhinein von französischen Kritikern „erfunden“ wurde.

Wie positioniert sich eine Generation später der in Hollywood arbeitende Däne Refn mit „Drive“ in diesem transatlantischen postmodernen Spiegelkabinett?

In gewisser Weise geht er wieder einen Schritt zurück nach Europa. Wo Walter Hill den Franzosen Melville durch die Zugabe von Action amerikanisierte, nimmt Refn Tempo raus. „Drive“ wird jeden enttäuschen, der wegen der Autofahrszenen ins Kino geht. Die Verfolgungsjagden inszeniert er zwar virtuos, aber es gibt nur zwei in 100 Minuten. Ebenso sind die Gewaltausbrüche zwar extrem, aber kurz. Stattdessen dehnt Refn die Momente vor und nach der Action. Hier schwelgt der Däne mithilfe der Musik und all seinem filmischen Können in romantisch-fatalistischen Stimmungen, wie man sie seit den späten 1970er Jahren nicht mehr im Kino erlebt hat.

Anders formuliert: „Drive“ wirkt wie ein „Driver-Remake“ von einem Regisseur, der den Film seit damals nicht gesehen hat und sich nur noch an ein bestimmtes Gefühl, eine Atmosphäre erinnern kann, die er jetzt mit geradezu fetischistischer Besessenheit wieder aufleben lässt. Das jugendliche Multiplex-Publikum dürfte gelangweilt sein. Wer dagegen, wie der Regisseur, um 1970 geboren ist, wird sich schwer dem Zauber entziehen können.

Drive: Regie Nicolas Winding Refn. Mit Ryan Gosling, Carey Mulligan. USA 2011, 101 Min. Ab Donnerstag im Kino