KÜNSTLERHOTEL LUISE
: Schlaflos mit Streifen

Zum Schluss raufte sie sich die Haare

Vor Jahren wohnte ich einmal im Künstlerhotel Luise, als es noch günstiger war. Wir waren mehrere, und jeder hatte ein eigenes Zimmer, das von einem jeweils anderen Künstler gestaltet worden war. Mitten in der Nacht klopfte meine Freundin an meine Tür. Sie werde wahnsinnig, sagte sie. Ihr Zimmer sei schwarzweiß gestreift. Überall seien diese Streifen zu sehen. An den Wänden, an der Kommode, auf dem Bett, an der Kloschüssel, am Schrank. Sie könne den Unterschied zwischen den einzelnen Gegenständen nicht mehr ausmachen, sie bekomme Albträume. Ob sie in meinem Zimmer schlafen dürfe.

Meins war vergleichsweise harmlos. Es hatte Schrift an der Wand. „All the mysteries that you are ever going to know in life are right here in this room“, stand zum Beispiel über der Tür. Etwas bedrohlicher war schon, dass direkt daneben stand: „His back is to her while he double-locks the door.“ Aber das war natürlich nichts gegen die schwarzen Streifen, wie ich meiner Freundin Recht geben musste. Wir teilten uns die schriftüberzogene Bettdecke.

Am nächsten Morgen waren wir etwas gerädert. Meine Freundin hatte von einer Zebraherde geträumt, die sie gnadenlos überrannte, und mein gesamter Traum war in Englisch gewesen. Ich hatte ihn zum Teil nicht verstanden, und es beunruhigte mich, dass ich im Traum englische Sätze konstruieren konnte, die ich im Wachzustand nicht hinbekam.

Beim Frühstück zitterten unsere Hände. Neben uns saß eine Frau, die bei der Bedienung fettfreien Joghurt bestellte. Fettfrei, betonte sie, nicht fettarm. „Amerikanerin“, sagte ich wissend zu meiner Freundin. Fettfreien Joghurt gab es bei Luise nicht. Die Frau flippte aus. Erst fing sie an zu schreien, dann zu weinen, zum Schluss raufte sie sich buchstäblich die Haare. Ich fragte mich, wie ihr Zimmer wohl gestaltet war. SANDRA NIERMEYER