Keine Frage des Geschmacks

Kunst contra Kommerz: Straßenmusik ist eigentlich durch das Verfassungsrecht der Kunstfreiheit geschützt. Dennoch gibt es in der Hamburger Innenstadt immer wieder Stress mit dem Städtischen Ordnungsdienst

„Straßenkunst trägt zur Belebung der Innenstadt bei“, sagt selbst das Bezirksamt-Mitte. Über 20 Jahre lang gab es in der Hamburger City kaum Probleme mit Geschäftsleuten oder der Polizei. Inzwischen klagen Straßenmusiker zunehmend über Ärger mit dem vor zwei Jahren vom damaligen Innensenator Ronald Schill ins Leben gerufenen Städtischen Ordnungsdienst (SOD). Jüngst verhängten die Sauberkeits- und Ordnungshüter gegen drei Musiker sogar Bußgelder von mehreren hundert Euro.

Zwar lässt sich über Geschmack sicherlich streiten: So kann sich eine gute Band, die nahe eines Straßencafés musiziert, für den Gastronomen als wahrer Magnet erweisen, während sich mancher Gast, der nur ruhig im Freien seinen Espresso trinken möchte, von der Dudelei gestört fühlt. Doch im Allgemeinen gilt Straßenmusik gerade auf den auch touristischen Flaniermeilen als Bereicherung.

Trotzdem gibt es im Zuge der Sterilisierung öffentlicher Räume Bestrebungen, Straßenmusik durch immer neue Verordnungen einzuschränken, da sie den Kaufrausch beeinträchtigen könnte. Dabei sind solche staatlichen Eingriffe eigentlich verfassungswidig. Denn Straßenmusik fällt unter die Kunstfreiheit. In einem Grundsatzurteil hat das Bundesverfassungsgericht 1971 entschieden, dass die Kunstfreiheit nur von der Verfassung selbst geregelt und nicht von einem „einfachen Gesetzgeber“ oder durch allgemeine Rechtsverordnungen eingeschränkt werden darf – dazu zählt auch das Hamburgerische Wegegesetz.

„Dieses Urteil hat im Grundsatz noch Bestand“, bestätigt der Verfassungsrechtler Ulrich Karpen, Direktor der „Forschungsstelle für Kulturverfassungs- und Verwaltungsrecht“ an der Uni Hamburg. „Die Kulturausübung im öffentlichen Raum ist geschützt.“ Die „Äußerungsfreiheit“ habe absoluten Vorrang. Karpen: „Ein Passant braucht ja nicht stehen zu bleiben, er kann ja weitergehen.“

Einschänkungen der Kunstfreiheit gebe es nur zum Beispiel bei Sachbeschädigungen durch Graffiti-Sprayereien oder zum Schutz von Anwohnern in der Nacht oder am frühen Morgen und bedingt auch für Geschäftsleute. Generell ist zu den Tageszeiten grundsätzlich Straßenmusik jedweder Couleur – ob Klassik, Schlager, Folk oder Jazz – zulässig. „Wenn jedoch jemand den ganzen Tag die Kleine Nachtmusik spielt“, schränkt Karpen ein, „ist das wohl Herrn Goertz und seinen Mitarbeitern nicht zuzumuten.“

Die Verordnung vom 1. April indes, dass Straßenmusik nur zur vollen Stunde für eine halbe Stunde gepielt werden darf, hält der Verfassungsrechtler für problematisch. Wenn eine Vielfalt durch Ortswechsel gewährleistet ist, müsse sie durchgängig am Tag erlaubt sein. Und dann sollte der SOD bei Beschwerden behutsam vorgehen, statt „hart durchzugreifen“. KAI VON APPEN