Beistand auf Staatskosten

Opferzeugen gewährt das Gesetz neuerdings Unterstützung: Betreuungs- und Informationsrechte des Gewaltopfers sind in Prozess und Ermittlungsverfahren deutlich erweitert worden

Von Kai von Appen

Die Problematik ist bekannt: Wenn eine Frau, ein Kind – oder auch ein Mann – Opfer von Gewalt werden und diese Gewalttat auch tatsächlich anzeigen, müssen sie sich nicht nur den Strapazen einer oft emotional schwierigen polizeilichen Vernehmung unterziehen. Sie müssen auch die Tat – meistens mit erheblicher zeitlicher Versetzung – als Zeuge vor Gericht im Kreuzfeuer der Verfahrensbeteiligten erneut durchleben. Eines allerdings ist jetzt neu: Um bei dieser seelischen Tortur einen Beistand zu haben, sind fast unbemerkt von der Öffentlichkeit die Rechte der Opferzeugen vom Gesetzgeber ausgebaut worden. „Vor allem die Betreuungs- und Informationsrechte der Gewaltopfer wurden stark erweitert“, sagt der Hamburger Opferanwalt Rudolf von Bracken.

„Der Opferzeuge kann sich beraten lassen“

Prozessual waren die Belastungen nicht nur psychisch, sondern oft auch rechtlich ungleich verteilt. „Der Täter und sein Verteidiger wenden fast immer das Prinzip an, dass das Opfer eine Mitschuld trägt“, berichtet von Bracken. Seit September 2004 haben Gewaltopfer, auch wenn sie nicht als Nebenkläger auftreten, nun generell ein Recht auf Akteneinsicht und müssen über eine Haftverschonung des Täters informiert werden. Dies gilt auch für „einfache Körperverletzungen“. Und sie können auf Staatskosten AnwältInnen als Zeugenbeistand beigeordnet bekommen, was bisher nur Opfern sexualisierter Gewalt im Rahmen der Nebenklage möglich war.

„Der Opferzeuge kann sich beraten lassen, was im Prozess auf ihn zukommt“, erläutert von Bracken. Jedes Gewaltopfer sollte diesen „Anspruch auf Auskunft“ schon bei der Anzeige und der polizeilichen Vernehmung „aktenkundig“ machen. Denn „diese Möglichkeit ist beim Gros der Polizei überhaupt noch nicht präsent“, bemängelt von Bracken. Grundsätzlich empfiehlt der Jurist aber Gewaltopfern, den direkten Weg über die Nebenklage zu gehen, „um sich aktiv am Verfahren beteiligen“ zu können.

Ahnungslosigkeit über die Neuerungen herrscht offensichtlich auch bei der Jugendhilfe, den Jugendämtern und den Amtsvormunden, wenn es um Gewalt gegen Kinder geht. „Kinder sind jetzt generell zur Nebenklage berechtigt“, erläutert von Bracken. Doch noch immer fürchten Jugendämter und Amtsvormunde, dass sie die Kosten tragen müssen, und verzichten deshalb auf anwaltlichen Beistand. Von Bracken beruhigt: „Ein Anwalt auf Staatskosten ist ein selbstverständliches Recht. Da gibt es kein Kostenrisiko.“

So kann ein Opferanwalt schon im Ermittlungsverfahren vom gesetzlichen Vertreter bevollmächtigt werden, die juristischen Interessen des Kindes zu vertreten. Das gelte nunmehr nicht nur bei sexuellen Delikten oder Kapitalverbrechen, sondern auch für die einfache Körperverletzung. Jugendliche ab 16 Jahren müssen diesen Rechtsbeistand allerdings bei Gericht beantragen.

Obwohl von Bracken die neuen Regelungen begrüßt, gehen sie ihm nicht weit genug. Er unterstützt eine Gesetzesinitiative mehrerer Bundesländer, die das Nebenklagerecht auch im Jugendstrafrecht verankert sehen wollen.

Aktuelles Beispiel: der Mordfall Angelina. Da der 17 Jahre alte Täter, der die Siebenjährige vergewaltigt und erdrosselt hat, unter das Jugendstrafrecht fällt, gibt es bislang kein Recht der Mutter auf Nebenklage. Sie wurde nicht einmal über den Prozessbeginn informiert. „Dieser Paragraph ist ersatzlos zu streichen“, plädiert von Bracken. Es sei zwar grundsätzlich richtig, Jugendliche durch den Ausschluss der Öffentlichkeit zu schützen, „es darf aber keinen opferfreien Raum geben“. Opferrechte und Täterrechte müssten gleichgestellt werden.

Erweiterte Nebenklage bei „häuslicher Gewalt“

Da die Mutter vom Gericht nun doch kurzfristig als Zeugin benannt wurde, konnte sie jetzt bedingt auf den Prozess Einfluss nehmen. „Da die Mutter zur Zeugin geworden ist“, so von Bracken, sei er als Zeugenbeistand beigeordnet worden. „Es ist von allen Prozessbeteiligten – auch von der Verteidigung – positiv aufgenommen worden, dass die Mutter schildern konnte, was sie nach dem Tod von Angelina erlebt hat.“ Inzwischen haben Anklage und Verteidigung auf acht Jahre Haft und eine Einweisung des 17-Jährigen in eine psychiatrische Klinik plädiert. Am Montag wird das Urteil gefällt.

Erweiterte Nebenklage-Befugnisse gelten neuerdings auch für den Bereich der „häuslichen Gewalt“. Wenn der Ex-Partner der Partnerin trotz polizeilicher und gerichtlich bestätigter Wegweisung „nachstellt“, ist eine Nebenklage der Frau grundsätzlich möglich. Diese müsste dann allerdings über Prozesskostenhilfe beantragt werden, was ein gewisses Kostenrisiko in sich bergen kann, falls die Kostenübernahme vom Gericht nicht bewilligt wird.