Buchtipp

Ausgewandert

„Vom Auswandern zu träumen, scheint eine der Lieblingsbeschäftigungen der Deutschen zu sein“, schreibt Kerstin F. Finkelstein in ihrem Buch „Ausgewandert – Wie Deutsche in aller Welt leben“. Träume vom Aufbruch in ein Leben unter der Sonne oder einfach nur in den attraktiveren Job, das treibt die reiselustigen Deutschen tatsächlich in die Welt hinaus. Der Einwohnerschwund durch Auswanderung beträgt derzeit offiziell rund 120.000 Bundesbürger pro Jahr (in Wirklichkeit dürften es mindestens doppelt so viel sein).

Von Auswanderungswellen wie in früheren Jahrhunderten kann heute allerdings nicht mehr die Rede sein. Auswandern heute hat persönliche Gründe.

Kerstin F. Finkelstein hat Deutsche im Ausland ihre Geschichten erzählen lassen. Sie ist dafür um die Welt gereist. Ein Zug durch die globale Gemeinde der Deutschen zwischen Brauchtumspflege im südamerikanischen Altenpflegeheim und verfließenden Träumen eines deutschen Häftlings im thailändischen Hauptgefängnis von Chiang Mai.

Sie hat aufgeschrieben, wie es Kriegsbräuten in den USA ergangen ist und wie der Alltag deutscher Managerfrauen in China aussieht. Wer immer schon ahnte, dass viele Deutschen im Ausland deutscher als die Deutschen sind, wird sich durchaus bestätigt fühlen: Bismarck’sches Flair herrscht in Namibia und in manchen deutschen Clubs in Südamerika.

Während sich die Nachkommen der Auswanderer in diesen klassischen Zielen längst integriert haben und Deutschland nur noch vom Hörensagen kennen, überaltern die traditionellen Vereine. Moderne Auswanderer orientieren sich eher in Richtung Asien oder Ozeanien. Sie sind meistens dann erfolgreich und zufrieden, wenn sie sich ohne Wenn und Aber ins Gastland integrieren.

Doch Vereine und deutsche Clubs, in denen man den sozialen Zusammenhalt pflegt, gibt es überall. In Südafrika gibt es sogar einen SPD-Ortsverein „Johannesburg–Köln“. Was man nicht zu eng sehen sollte: Wer aus beruflichen Gründen im Ausland lebt, pflegt die Kontakte, die er braucht – und verlässt das Gastland dann auch wieder.

Bedeutete früher die Auswanderung eine unumkehrbare Lebensentscheidung, so halten sich die mobilen Menschen von heute eher alle Optionen offen. Die meisten, so berichtet Finkelstein, sprechen denn auch gar nicht mehr vom Auswandern – sie sind „umgezogen“.

Kerstin F. Finkelstein hat sich um Repräsentativität bemüht. Die Lebensentwürfe und Erfahrungen der Auswanderer und auch der Rückkehrer sind denkbar unterschiedlich. Wer selbst vom Auswandern träumt, sollte sich diesen interessanten Einblick in die Welt der Auslandsdeutschen nicht entgehen lassen. Das Buch bietet Hintergrundinformationen und Tipps für Auswanderungswillige.

Interessanterweise sind das Top-Traumziel immer noch die USA. Der Schritt nach Übersee gelingt jedoch vergleichsweise selten. Die meisten siedeln in der Schweiz und in Österreich. Die Nachbarländer liegen noch vor Spanien, das Kerstin F. Finkelstein als ein „Übergangsland“ sieht. Spanien ist unter Auswanderern beliebt, aber bei Alter und Krankheit kommt man doch gern zurück. Dann lockt das soziale Netz in Deutschland mehr als ein Wohlleben unter Palmen. CHRISTEL BURGHOFF

Kerstin F. Finkelstein: „Ausgewandert.Wie Deutsche in aller Welt leben“. Ch. Links Verlag, Berlin 2005, 256 Seiten, 14,90 €