Konklave des Grauens

Es war ein harter und schmutziger Wahlkampf im Vatikan. Eine Wahrheit-Reportage

Hoffentlich wird nicht wieder heimlich Gift in den Messwein geträufelt

„O when the Saints go marching in / When the Saints go marching in …“ Die altehrwürdigen Mauern der Sixtinischen Kapelle hallen wider von Trompetenstößen und Trommelschlägen, als die „Vatikan City Band“ und der „Holy Ghost Gospel Chorus“ den Einmarsch der amerikanischen Kardinäle verkündigen. Militärisch steif und doch mitgerissen vom Rhythmus des heiligen Schlagers wiegen sich die Sänger und Musiker in ihren Fantasieuniformen hin und her. Und auch die Kardinäle aus der Neuen Welt klatschen begeistert im Takt mit.

Die Endphase des Wahlkampfs ist eröffnet. Als letzte der drei Parteien des Vatikans tritt die Fraktion Amerikas zum Konklave an. Die Amerikaner wissen, wie Wahlwerbung funktioniert. Im selben Moment, als sich die nord-, mittel- und südamerikanischen Kardinäle hinter ihrem Kandidaten sammeln, regnen hunderte blauer, weißer und roter Luftballons von der Decke.

Claudio Hummes strahlt. Der rotnasige Brasilianer reckt beide Arme hoch und zeigt seinen Anhängern gleich doppelt das V-Zeichen. Als Erzbischof von São Paulo weiß der Mann mit dem Gesicht eines abgebrühten Buchhalters nicht nur Amerika hinter sich. Er gilt als einer der Favoriten für die Papstwahl, hat er doch enorme Summen an noch unentschiedene Kardinäle gezahlt. Seine Anhänger reißen begeistert ihre Papptafeln in die Höhe: „Hummes for Papa“.

Noch schwer gezeichnet vom schmutzigen Wahlkampf geben sich die in grün-weiß-rote Scherpen gewandelten italienischen Kardinäle zumindest nach außen selbstbewusst, können sie doch ihre jahrhundertelange Erfahrung mit Papstwahlkämpfen aufbieten. Dabei erhalten kleine Geschenke die Freundschaft, und so verteilen sie Plastikkugelschreiber mit einem in klarer Flüssigkeit auf und ab schwimmenden Fötus. Noch im Angebot sind Aufkleber mit dem Konterfei ihres Kandidaten Dionigi Tettamanzi. Sein Werbeslogan lautet: „Habemus Dionigi“.

Der dickliche Erzbischof von Mailand streichelt im Akkord Hunde und Kinder, die ihm zugeführt werden – auch wenn die von einer Werbeagentur aus Turin angeordneten Streichelszenen im zurückliegenden Wahlkampf zu unschönen Vorwürfen geführt haben: Angeblich soll der Mailänder Moraltheologe Kinder und Tiere eine Spur zu lieb haben.

Auch jetzt dringen aus der Fraktion der Afrikaner üble Schmährufe in Richtung der italienischen Kardinäle. Unter den Deckenfresken Michelangelos wirkt nur einer der Schwarzafrikaner gelassen: Francis Arinze. Er ist das Auge des Tigers. Mitten zwischen seinen wild um ihn herum tanzenden Anhängern hat sich der grobschlächtige Nigerianer auf einer Art Fellthron niedergelassen und betrachtet seelenruhig das ohrenbetäubende Spektakel. Arinze hat die Beine übereinander geschlagen, so dass auf den Schuhsohlen seiner feinen italienischen Slipper weiß auf schwarz ein Zahlenpaar zu lesen ist: „2/3“. Eine Anspielung auf die Zweidrittelmehrheit, mit der der Papst gewählt wird und der sich Arinze sicher zu sein scheint.

Konfettifetzen wehen von den Amerikanern herüber auf die Ränge, wo die großen Fernsehsender dieser Welt ihre Kameras aufgebaut haben. Sie berichten seit den Morgenstunden live aus dem Vatikan und haben alles aufgeboten, was ein Ereignis dieser Tragweite verlangt. Leider aber ist bereits ein toter Medienvertreter zu beklagen, was im allgemeinen Trubel bislang jedoch kaum wahrgenommen wurde: Bild-Reporter Andreas Englisch war vor laufender Kamera unter Tränen zusammengebrochen, als ihn der RTL-Ansager Peter Kloeppel auf den verstorbenen Papst Johannes Paul II. ansprach. Mit den Worten „Ich folge dir, Papa“ stürzte sich Englisch von der Balustrade und riss dabei bedauerlicherweise einen sudanesischen Kardinal mit ins Himmelreich.

Noch einmal schwillt der Orkan aus Schlachtrufen und Gesängen, Trommeln und Trompeten an, als wie ein Eishauch sich Stille ganz plötzlich über die Sixtinische Kapelle legt. „Ratzinger!“, flüstern die jungen Kardinäle ängstlich. Mit wehender Soutane eilt der graue Deutsche auf die Bühne, die er in den nächsten Stunden und Tagen beherrschen wird. Nur ein kurzes, frostiges Nicken hat „Ratze“, wie ihn allein seine engsten Vertrauten nennen dürfen, für die drei Favoriten Arinze, Hummes und Tettamanzi über. Ganz gleich wer von ihnen als Papst gewählt wird, Joseph Kardinal Ratzinger bleibt der erste Mann im Staate Vatikan. Das weiß hier jeder. Und jeder der Anwesenden hofft, dass es bei diesem Konklave endlich einmal nur ein paar wenige unerklärliche plötzliche Todesfälle gibt; dass nicht wieder heimlich Schlangengift in den Messwein geträufelt wird; dass nicht erneut einer der Kardinäle auf seinem Stuhl zusammensackt – mit einem Schweizer Offiziersmesser im Rücken. Nur Ratzinger kann es richten. Das Konklave möge beginnen …

MICHAEL RINGEL