„Türken sind ein super Volk“

Gespräch mit Horst Buhtz, in den 70ern Trainer von Besiktas Istanbul, über das morgige Derby seines alten Teams gegen Fenerbahce, seine Türkei-Erfahrungen, Christoph Daum und Jürgen Klinsmann

INTERVIEW TOBIAS SCHÄCHTER

taz: Herr Buhtz, Merhaba aus Istanbul!

Horst Buhtz: Aus Istanbul! Oh, wie ist denn das Wetter dort?

Wie in Deutschland, wechselhaft. Aprilwetter eben.

Ja, genau, der Wind pfeift ziemlich stark dort, wenn er pfeift.

Sie wissen das, weil Sie in der Saison 1975/76 der erste deutsche Trainer in der Türkei waren, bei Besiktas Istanbul.

Das stimmt. Rufen Sie deswegen an?

Ja, am Sonntag steht ein Derby an: Fenerbahce gegen Besiktas.

Wer ist denn vorne?

Fenerbahce ist Erster, vor Galatasaray, Trabzon und Besiktas. Wie kam Ihr ungewöhnliches Engagement damals denn zustande?

Eigentlich stand ich kurz vor dem Abschluss eines Vertrages mit dem Jean Löring von Fortuna Köln. Aber dann kam plötzlich ein Anruf, ich solle mich mit dem Präsidenten von Besiktas in einem Frankfurter Hotel treffen. Dort kam ich mit dem Mann dann auch schnell zu Potte. Aber darf ich Ihnen etwas sagen?

Gerne!

Die Gastfreundschaft dort ist ja Wahnsinn. Ich lebte dort mit meiner damaligen Freundin auf der asiatischen Seite und habe eine Wohnung von einem Milliardär zur Verfügung gestellt bekommen. Man sah aufs Meer, das war traumhaft. Heute schaue ich in Langenfeld aus dem Fenster und sehe einen türkischen Kiosk. Dem Inhaber sage ich immer: „Das war sensationell damals in Istanbul.“

Lukrativ war es bestimmt auch.

Um Gottes Willen, Ich habe 10.000 Mark im Monat gekriegt, das war ja nun fast gar nichts. Heute kriegen die ja drei Millionen im Jahr dort.

Damals galt der Fußball in der Türkei als unterentwickelt.

Die Trainingsbedingungen waren eine Katastrophe. Wir hatten nur einen Aschenplatz, der direkt am Bosporus lag. Wenn die Jungs beim Schusstraining keine Lust mehr hatten, haben sie den Ball einfach über den Zaun gehauen, und weg war er. Ich habe irgendwann gesagt: „So geht das nicht.“ Wir haben uns dann immer gute Hotels ausgesucht und dort auf dem Rasen trainiert.

Die türkischen Fußballer galten als eher lauffaule Techniker.

Eines war wirklich charakteristisch: Die waren trainingsfaul. Wenn man die nicht rannahm, dann ließen die alles laufen. Aber wenn es gegen einen Stadtrivalen ging, dann haben die sich im Training plötzlich angestrengt wie sonst die ganze Saison nicht. Da konnte ich nur mit dem Kopf schütteln. Was mir gar nicht behagte, waren die langen Busfahrten zu den Auswärtsspielen. 20 Stunden nach Trabzon am Schwarzen Meer, da gingen die Jungs wie auf Eiern auf den Platz.

Wie haben Sie sich denn verständigt?

Ich hatte einen Dolmetscher, der zwar fließend Deutsch sprach, aber von Fußball überhaupt keine Ahnung hatte.

Wie hat sich das geäußert?

Bei Spielbesprechungen übersetzte er meine Anweisungen, aber ich hatte oft den Eindruck, der erzählt nicht das, was ich gesagt hatte. Ich musste nur den Spielern ins Gesicht schauen: Die zogen so komische Grimassen. Das war auch der Grund, warum ich nach einem Jahr wieder weg bin.

Im türkischen Fußball ist immer wieder von Spielmanipulationen die Rede. Wie war das zu Ihrer Zeit?

Einmal, ich glaube es war in Trabzon, kam unser Präsident zu mir und sagte: „Du kriegst heute auch eine Prämie, wenn wir verlieren.“ Da habe ich gesagt: „Da mache ich nicht mit.“ Als aber unser Verteidiger gleich mal über den Ball gehauen und wir am Ende drei–null verloren hatten, war mir alles klar. Aber sonst habe ich nichts Derartiges erlebt. Unser Dolmetscher hat mir aber immer wieder Geschichten erzählt. Eine Tochter eines Mafiachefs hatte sich in einen „Unwürdigen“ verliebt. Die haben die Frau dann einfach eingemauert.

Wie bitte?

Eingemauert. Die war dann einfach weg. Diese Ehrenmorde, die ja auch in Berlin in jüngster Zeit passiert sind, das ist natürlich furchtbar. Diese Dinge tragen leider dazu bei, dass in der deutschen Bevölkerung jetzt schon viele gegen einen EU-Beitritt der Türkei sind. Schade, die Türken sind wirklich ein super Volk. Das sage ich jedem.

Die türkischen Fußballer werden wahrscheinlich die WM in Deutschland verpassen.

Das wäre jammerschade. Aber Weltmeister wird eh Deutschland.

Wieso?

Wegen Jürgen Klinsmann! Den hatte ich ja als Spieler bei den Stuttgarter Kickers. Ich muss Ihnen sagen: Das war ein ganz Verrückter.

Warum?

Ich hatte die Mannschaft von Sundermann übernommen und kannte die gar nicht. Ich habe zu meinem Assistenten gesagt: „Stell du die Truppe auf.“ Da kam der Jürgen zu mir und sagte: „Herr Buhtz, ich habe gehört, dass ich nicht spiele.“ Ich antwortete: „Jürgen, das stimmt.“ Und wissen Sie was?

Nein.

Dann hat der angefangen zu weinen.

Oh!

Also, von der Klasse her hatte der höchstens 30 Länderspiele im Gepäck, aber sein Ehrgeiz hat ihn zum Weltmeister gemacht. Als die anderen im ersten Jahr in Urlaub gefahren sind, hat der in Stuttgart Sprinttraining gemacht, der war ja pfeilschnell. Ich habe ihn dann gefragt: „Jürgen, warum hast du das gemacht?“ Er sagte: „Ich renne 11,7 über 100 Meter, aber ich will auf 11,0 kommen.“

Ihm trauen Sie also zu, dass er Deutschlands Fußballer 2006 zu Weltmeistern macht?

Ich glaube fest daran, weil ich ihn kenne. Der rückt keinen Deut davon ab. Der überträgt seine Begeisterung auf seine Mannschaft.

Über Christoph Daum, den Trainer von Fenerbahce, hat man das ja auch immer gesagt.

Wir sind ja per du. Zu seiner Leverkusener Zeit hat der mir einmal gesagt: „Horst, wenn du mich fragst, was ich am 10. 2. 1993 trainiert habe, dann gehe ich an meine Schublade und schaue in meinen Trainingsplänen nach.“ So ein Pedant ist das. Nur: Das mit der Haarprobe damals, das kann ich natürlich nicht verstehen.

Und wer gewinnt das Derby am Sonntag?

Ja, nach dem Tabellenstand zu schließen, wird der Daum wohl gewinnen. Aber ich halte trotzdem zu Besiktas. Ist doch klar.