„Wird er fighten?“

Herrschen bald auch in deutschen Untersuchungsausschüssen US-amerikanische Verhältnisse? Der Politologe Claus Leggewie meint, hierzulande gebe es doch „noch etwas mehr politische Substanz“

taz: Herr Leggewie, ist die Live-Übertragung von Joschka Fischers Auftritt im Untersuchungsausschuss ein Fortschritt für die Demokratie?

Claus Leggewie: Nur zum Teil. Denn wir haben bei Untersuchungsausschüssen bisher gesehen, wie die einbestellten Politiker im Vorfeld auf einem Armesünderbänkchen vor den Kameras Platz genommen haben, und dann ging die Schlachtung vor dem Untersuchungsausschuss los – unter Ausschluss der Fernsehöffentlichkeit. Jetzt erleben wir tatsächlich, was in diesem Ausschuss passiert, und können das ganze Drama mitverfolgen. Das ist in einer sowieso vom Fernsehen geprägten Demokratie nicht schlecht.

Was ist der Nachteil?

Es kommt nun noch weniger auf das Was, also auf die Fakten, an. Vielmehr wird es um das Wie gehen: Ist er nervös, welche Krawatte trägt er? Ist er patzig oder überfreundlich, geht er zu Boden, fightet er zurück? Die Aufklärung eines möglichen Fehlverhaltens Fischers gerät in den Hintergrund. Die Live-Kamera erzwingt den kalkulierten Auftritt und degradiert das seriöse Instrument des Untersuchungsausschusses im Sinne des ohnehin vorherrschenden elektronischen Populismus.

Untersuchungsausschüsse haben doch selten der Wahrheitsfindung gedient.

Ja, die Wahrheitsfindung ist in ihnen ein Element unter anderen. Nur: Jetzt wird die Tribüne innerhalb des Ausschusses noch um die Fernsehtribüne erweitert. Fischer wird nicht nur zu dem Ausschuss sprechen, sondern aus dem Fenster heraus – zu einer größeren, imaginierten Fernsehöffentlichkeit. Das wird den Charakter der Veranstaltung stark verändern.

Wie?

Sobald eine Kamera auf jemanden gerichtet ist, verhält er sich anders. Für die Parteien bedeutet das aber auch – ähnlich wie bei TV-Duellen –, dass nicht auf die Spontanität des Moments vertraut wird. Sie wollen das Risiko minimieren und viele Spielregeln im Vorfeld absprechen. Das sollte allerdings wie bei den Duellen in den USA eine unabhängige Kommission machen.

Wer profitiert von der Fernsehübertragung?

Der erste Gewinner ist das Fernsehen. Denn es bekommt ein neues Sendeformat frei Haus und kostenlos geliefert. Andererseits wird sich die „Partei Fischer“ etwas davon versprechen, indem der Akteur – wenn er auch Risiken eingeht – mehr von seiner öffentlichen Wirkung kontrollieren kann. Wenn er gut ist, ist das gut für die „Partei Fischer“.

Und wenn er schlecht ist?

Bei einem weniger soliden Auftritt bekommt das Publikum das auch live mit – und das ist eindrucksvoller als der spätere Zusammenschnitt von Bildern oder Berichte in einem Printmedium.

Noch ist nicht klar, ob der Auftritt nur ein Mal live läuft, oder ob die Bilder auch weiterverwertet werden dürfen. Welchen Einfluss kann das Fernsehen durch die Zusammenschnitte nehmen?

Der nachträgliche Spin wird bei solchen Live-Events ganz entscheidend sein. Dabei sind aber neben raffinierten und manipulierenden Schnitten auch die so genannten Experten wichtig. Wir werden Fischers Auftritt live tagsüber sehen und dann abends die Brennpunkte und Specials haben. In denen werden die Spin-Doktoren der Parteien und vermeintlich unabhängige Experten auftreten. Das kennen wir schon aus dem Sport und Großereignissen wie dem Papstbegräbnis – die Beglaubigung des Gesehenen durch Expertise.

Entsteht dadurch ein neues Verhältnis zwischen Politik und Medien?

Jedenfalls trägt derlei zur weiteren Spektakularisierung der Politik bei. Mehr Menschen erleben die Politik, aber sie wird auch emotionaler, visueller. Der Effekt könnte sein, dass die Politikverdrossenen noch verdrossener werden und die Interessierten zusätzliche Erkenntnisse gewinnen.

Die USA haben die Live-Übertragung bei einem Untersuchungsausschuss vorgemacht. Hat sich die Live-Show für Mrs Rice gelohnt?

Der Rice-Auftritt hat ihr auf alle Fälle genutzt. Sie hat bei Zweiflern im Inland und besonders bei der Weltöffentlichkeit einen sympathischen und kompetenten Eindruck gemacht.

Reagieren die Deutschen anders auf solche Live-Auftritte von Politikern?

Es gibt noch Unterschiede zwischen der amerikanischen und der deutschen politischen Kultur. Wir haben hier immer noch nicht so stark personalisiertes, auf Kandidaten bezogenes System und es gibt auch noch etwas mehr politische Substanz. Gleichwohl zeigt der live übertragene Visa-Ausschuss die Amerikanisierung der Politik.

Wo sollten die Grenzen von Live-Übertragungen sein?

Dort, wo es um Persönlichkeitsschutz, um berechtigte Staatsgeheimnisse oder um sicherheitsrelevante Belange geht. Zudem gibt es Geschmacksgrenzen.

Welche Fehler sollte Fischer am 25. April nicht machen?

Ein Politiker sollte nicht offensichtlich lügen – beziehungsweise wenn er nicht die ganze Wahrheit sagen kann, sollte das nicht erkennbar werden. Nervosität, Arroganz, unwirsches Verhalten und übergroße Freundlichkeit wären schlecht. Ein so bekannter Politiker darf nicht so wirken, als verstelle er sich. Es muss – trotz Fernsehübertragung – etwas Authentisches übrig bleiben, was natürlich letztlich auch immer Produkt einer Inszenierung ist.INTERVIEW: SASCHA TEGTMEIER

Claus Leggewie, 55, ist Direktor des Zentrums für Medien und Interaktivität in Gießen.