: Wie Benno Ohnesorg starb
2. JUNI Karl-Heinz Kurras erschoss den Studenten Benno Ohnesorg 1967 aus kurzer Distanz. Berliner Polizisten halfen, die Tat zu verschleiern. Das beweisen jetzt neue Fotos
VON STEFAN REINECKE
BERLIN taz | In einem der größten Polizeiskandale der Geschichte der Bundesrepublik gibt es neue Indizien. Demnach hat am Abend des 2. Juni 1967 der Westberliner Polizist Karl-Heinz Kurras gezielt, unbedrängt und aus nächster Nähe den Studenten Benno Ohnesorg erschossen. Kurras war in den beiden folgenden Prozessen freigesprochen worden. Der Schuss am 2. Juni und noch mehr der Freispruch für Kurras hatten viele in der Studentenbewegung radikalisiert.
Ein Foto eines damaligen Polizeireporters des Springer-Verlags, das der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe erstmals druckt, zeigt Kurras am Tatort – dem Gericht lag dieses Foto 1967 nur ohne Kurras vor. Es erschüttert die Aussage von Einsatzleiter Helmut Starke, der bezeugt hatte, Kurras am Tatort nicht gesehen zu haben. Zweites Indiz: Ein 8-Sekunden-Film eines SFB-Kameramanns am Tatort, kurz bevor der tödliche Schuss fiel. Auf diesen Bildern ist im Schattenriss ein Mann zu sehen, der eine Pistole in der Hand hält. Dieser Mann ist aller Wahrscheinlichkeit nach Kurras. In einem aktuellen Vermerk der Staatsanwaltschaft Berlin heißt es laut Spiegel: „Die Konturen legen nahe, dass es sich um Kurras handelt.“
Offenbar haben neuere Bildanalysetechniken zu dieser Vermutung geführt. Die Sequenz zeigt somit, dass die Version, dass sich der Schuss im Handgemenge löste, ein Lüge war. Offenbar hat Kurras sich mit gezogener Waffe langsam dem Opfer genähert und abgedrückt.
Indiz Nummer drei sind mehrere Fotos, die eine plausible Rekonstruktion des Tathergangs möglich machen. Demnach standen, als Kurras schoss, Einsatzleiter Starke und der Kripo-Mann Paul Gerhardt Schulz direkt am Tatort. In dem Prozess gegen Kurras hatte Starke behauptet, erst am nächsten Tag von den tödlichen Schüssen erfahren zu haben.
Offensichtlich haben Starke und andere Polizeibeamte den Schützen Kurras gezielt gedeckt, um zu verhindern, dass publik wurde, was wirklich geschehen war: keine Affekthandlung, sondern eine gezielt ausgeführte Exekution. Dass Kripo-Mann Schulz, auch Augenzeuge der Tat, in dem Prozess nicht als Zeuge aussagen musste, erhärtet den Verdacht, den schon damals viele hatten: Die beiden Prozesse gegen Kurras waren eine Farce, Zeugen waren manipuliert, Beweisstücke, die die polizeioffizielle Version hätten erschüttern können, verschwanden einfach.
Ein neues Verfahren jedoch wird es nicht geben. Viele Beteiligte sind tot, andere nicht vernehmungsfähig. Die neuen Indizien zeigen indes, dass eine Spur, die manche Rechtskonservative verfolgen, zu nichts führt. Demnach war Ohnesorg ein Opfer der Stasi und der Destabilisierungsbemühungen der DDR. Denn Kurras war, wie eine als sensationell empfundene Enthüllung 2009 zeigte, in den 60er Jahren IM gewesen. Das hatte Spekulationen befeuert, dass Kurras im Auftrag der Stasi geschossen haben könnte, um damit den Protest zu radikalisieren. Doch für eine Fernsteuerung von Kurras gibt es bislang kein einziges Anzeichen.
Die neuen Indizien im Fall Ohnesorg zeigen vielmehr: Die Radikalisierung der Studentenbewegung besorgte die Westberliner Polizei ganz alleine – mit gezieltem Todesschuss und gezielter Verschleierung der Tat.