Regierungskrise in Wien: Neuwahlen?

Weil die zum „orangen“ BZÖ mutierte „blaue“ FPÖ ihre Truppe nicht zusammenhält, stimmt Österreichs Oberhaus aus Versehen für vorgezogene Wahlen. Wolfgang Schüssels schwarz-orange Rechtskoalition bekommt immer mehr blaue Flecken

AUS WIEN RALF LEONHARD

Neuwahlen soll es in Österreich geben. Das beschloss Donnerstagabend der Bundesrat in Wien in einer turbulenten Abstimmung. Beschlüsse der Länderkammer des Wiener Parlaments sind zwar für die Bundesregierung nicht bindend und werden daher ignoriert, doch als politisches Signal ist die Abstimmungsniederlage für Wolfgang Schüssel und seine schwarz-orangefarbene Truppe höchst peinlich. Denn sie zeigt, dass die solide Parlamentsmehrheit, mit der der Bundeskanzler bisher seinen Entschluss zum Weiterregieren trotz der FPÖ-Krise begründet hat, wie ein scheues Vögelchen davonflattern kann.

In diesem Falle reichte es, dass einer der drei Abgeordneten, die sich immer noch zur alten FPÖ bekennen, mit der Opposition stimmte. John Gudenus, Berufsoffizier und einer der strammsten Rechten im nationalen Lager der Freiheitlichen, ließ sich den zum Votum hochgereckten Arm auch von einer entsetzten ÖVP-Kollegin nicht niederdrücken.

Bundesratsvizepräsident Jürgen Weiss (ÖVP), der als Leiter der Sitzung nicht mitstimmen durfte, war so erschüttert, dass er nach Luft ringen musste, bevor er das Ergebnis von 31:30 für den von der SPÖ eingebrachten Antrag auf Neuwahlen bekannt gab. Gudenus, der den Saal vor Vergnügen lachend verließ, wollte sein Verhalten „als Drohfinger von uns Freiheitlichen gegenüber der Regierung“ verstanden wissen, dass es die FPÖ immer noch gebe und mit ihrer Kooperationswilligkeit erst gerechnet werden könne, wenn ein bis zwei „Echt-Freiheitliche“ ins Kabinett genommen würden. Derzeit bekennen sich alle ehemaligen FPÖ-Regierungsmitglieder zum neuen „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ) unter Jörg Haider, das seinen Gründungskonvent am Sonntag feiern wird.

Aber auch im Nationalrat, dem Unterhaus des österreichischen Parlaments, ist die Lage zehn Tage nach der Abspaltung des BZÖ von der FPÖ keineswegs übersichtlich. Die meisten bisherigen FPÖ-Abgeordneten bekennen sich zur Weiterführung der Regierung, doch nur neun haben sich offiziell als Anhänger des BZÖ deklariert. Vier wollen der FPÖ treu bleiben, die restlichen lavieren noch. Hilmar Kabas, der interimistische FPÖ-Obmann, hat angekündigt, er werde fünf Abgeordnete finden, wie es das Gesetz für die Bildung einer Parlamentsfraktion verlangt. Derzeit wird geprüft, ob laut Vereinsstatut überhaupt zulässig ist, was der bisherige Fraktionschef Herbert Scheibner (jetzt BZÖ) gemacht hat, nämlich das Vereinsziel von Umsetzung der Politik der FPÖ auf Umsetzung „freiheitlicher Politik“ abzuändern.

Ähnliche Rechtsstreitigkeiten spielen sich derzeit in fast allen FPÖ-Landesgruppen ab. In Kärnten hat sich nach der Umfärbung von Blau auf Orange ein neuer Vorstand gebildet, wo sich die Dinosaurier der deutschtümelnden Alt-FPÖ zusammengefunden haben. In den meisten anderen Bundesländern bleibt man mehrheitlich blau. Die FPÖ-Landesparteien von Vorarlberg und Oberösterreich haben sich nach dem Vorbild der bayerischen CSU für unabhängig erklärt.

Für den österreichischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bleibt trotz all dieser Turbulenzen BZÖ-Führer Jörg Haider „ein konstruktiver Politiker“, der die Stabilität der Regierung garantiere. Auch in Schüssels ÖVP gibt es aber Skeptiker, die Haider lange genug kennen und fürchten, er könne im ersten Halbjahr 2006, wenn Österreich die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, einen Posten in der Regierung reklamieren oder für einen anders gearteten Eklat sorgen. Wiens Bürgermeister Michael Häupl berichtete denn auch von einem Besuch in Brüssel, dass viele EU-Politiker ihm gegenüber ihre Sorge über das neue politische Experiment BZÖ geäußert hätten. Daher fordert auch er Neuwahlen noch in diesem Jahr.