Die Chirac-Schau

In einer TV-Debatte vor ausgesuchten Jugendlichen wirbt Frankreichs Präsident für ein „Oui“ zur EU-Verfassung

PARIS taz ■ „Chirac rudert“, titelte das Boulevardblatt Le Parisien am Tag nach der Schau, die der französische Staatspräsident im Privatfernsehen TF1 geboten hatte, um für ein Ja zur EU-Verfassung zu werben. Auch andere Medien zeigten sich wenig überzeugt von der „One-Man-Show aus dem Pensionat im Elysée“, wie das kommunistische Blatt Humanité schrieb. Selbst der konservative Figaro schrieb von einer „konfusen und orientierungslosen Debatte“.

Dabei hatte die Präsidententochter und PR-Fachfrau im Elysée-Palast, Claude Chirac, alles Mögliche unternommen, um den zweistündigen TV-Auftritt ihres Vaters mit 83 „repräsentativen“ Jugendlichen zwischen 18 und 30 Jahren zu einer Werbeveranstaltung zu machen. In dem Elan, jeden Widerspruch zu verhindern, sorgte sie sogar dafür, dass statt in der Materie bewanderte JournalistInnen Moderatoren von Unterhaltungssendungen die Diskussion leiteten. Um die „spontane“ Debatte gänzlich abzusichern, versammelten die Moderatoren ihre Gäste schon am Morgen im Elysée-Palast, um die Diskussionspunkte abzusprechen. Chirac senior stand so am Abend ein gut beackertes, leichtes Terrain zur Verfügung.

Dennoch verlief die TV-Debatte zu seinen Ungunsten. Die jungen Leute konfrontierten ihn mit zwar oft ungeschickt formulierten, aber doch sehr konkreten Fragen: Hilft die EU-Verfassung gegen Arbeitslosigkeit? Wie kann ein französischer Spediteur angesichts des Lohn- und Steuerdumpings aus dem Osten überleben? Warum ist die Verfassung so unverständlich geschrieben? Was würde ein EU-Europa mit Verfassung bei einer neuen kriegerischen Auseinandersetzung wie zuletzt im Irak tun? Warum ist die Laizität – die Trennung von Staat und Religion – nicht in der Verfassung erwähnt?

Auf die konkreten Fragen gab Chirac nebulöse Antworten. Seinen Standardsatz „Habt keine Angst“ entlieh er dem verstorbenen Papst, der ihn 1978 angesichts der Situation in Polen geprägt hatte. Chiracs meistbenutztes Argument war der „Ultraliberalismus“ der Welt. Dem gegenüber, so sagte er, „ist eine humanistische und organisierte und starke EU nötig“. Einzelne Jugendliche erkannten in diesen Erklärungen Widersprüche. „Die rechte Regierung macht in Frankreich liberale Politik und kämpft in der EU gegen den Liberalismus“, sagte einer von ihnen. In einem einzigen Punkt lieferte Chirac eine eindeutige und neue Information: Wenn das „Non“ siegt, bleibt er trotzdem Präsident. Ein Rücktritt, so versicherte er, „kommt nicht in Frage“.

DOROTHEA HAHN