Für Franzosen schwer verdaulich: Europas Verfassung

Das Interesse an der EU-Verfassung ist gewaltig. Die Argumente der Gegner und Befürworter stehen sich unversöhnlich gegenüber. Eine Podiumsdiskussion in Straßburg

STRASSBURG taz ■ Auf den Stufen des Nationaltheaters in Straßburg ging es am Montagabend zu, als käme ein besonders beliebtes Stück zur Aufführung. Hunderte drängten sich vor dem Eingang. Dabei hatte die Zeitschrift Les saisons d'Alsace zur Debatte über ein Thema geladen, das die Franzosen mehrheitlich für schwer verdaulich halten: die Europäische Verfassung.

Nur etwa fünfhundert fanden in dem kleinen Theater Platz, doppelt so viele hatten sich um Einlass bemüht. Das Interesse war so groß, dass sich die Menschen im Foyer um winzige Monitore drängten, um wenigstens ein bisschen von dem mitzubekommen, was auf der Bühne und im Publikum gesprochen wurde.

Zu hören bekamen sie zunächst einen flammenden Vortrag des EU-Korrespondenten von Libération, Jean Quatremer. Er hätte die Veranstaltung eigentlich moderieren und den fünf auf der Bühne sitzenden EU-Parlamentariern das Wort zuteilen sollen. Doch die Flugblätter, die er in die Hand gedrückt bekam, hatten ihn so aufgeregt, dass er seine Rolle vergaß. Seit 1990 berichte er in Brüssel für Libération. Eine solche dumpfe, EU-feindliche Stimmung habe er in all den Jahren noch nie erlebt. „Ich verstehe die Franzosen nicht mehr! Was ist eigentlich mit euch los?“, fragte er empört.

„Nein zu dieser Verfassung des Neoliberalismus! Nein zu dieser Verfassung, die unseren öffentlichen Dienst zerschlägt! Nein zu einer Verfassung des Militarismus!“ stand schwarz auf gelbem Grund auf den Flugblättern. Die Menschen im Theater hatten diese Flugblätter gelesen. Sie waren gekommen, um zu erfahren, was an den Vorwürfen dran ist und was wirklich in der Verfassung steht. Die Stimmung im Saal war neugierig und freundlich abwartend. Nachdem der Moderator zehn Minuten gewettert hatte, überwog bei den meisten der Ärger darüber, dass wieder einmal die Nebelkerzenwerfer aus Brüssel das Wort führten und ihre Sorgen nicht ernst nahmen. Die Chance für eine offene Debatte war vertan.

Daran konnte auch Jean-Louis Bourlanges von der UDF nichts ändern. Der humorvolle Liberale, der ein Buch mit dem Titel „Ist der Teufel europäisch?“ geschrieben hat, versuchte, mit Sachlichkeit den Saal für sich zu gewinnen. Er erntete Applaus und einige Sympathie. Doch als auf Fragen aus dem Publikum hin Daniel Cohn-Bendit schweigend den Kopf in den Armen vergrub, als hätte er noch nie im Leben solchen Schwachsinn gehört und könne ihn körperlich nicht ertragen, schlug die Stimmung wieder um.

Paul-Marie Couteaux von der MPF, ein „Frankreich den Franzosen“-Fan, hatte nun leichtes Spiel. Er sagte wenig, zur Verfassung inhaltlich fast nichts, und wurde dafür mit Beifall bedacht. Der Kommunist Francis Wurtz versuchte, Beifall von der falschen Seite zu vermeiden. „Ich kämpfe gegen ein Nein aus fremdenfeindlichen Motiven. Ich bin für ein Nein aus sozialen Gründen.“

Am nächsten Morgen fasste Daniel Cohn-Bendit das Desaster einer Fraktionskollegin gegenüber in einem Satz zusammen: Frankreich ist verloren.

DANIELA WEINGÄRTNER