Wiedervereint im Nein

Das liberale EU-Europa bringt die gespaltene französische Linke zusammen. Die Kritik an der sozialen und militärischen Ausrichtung der Verfassung eint

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Das Dreibuchstabenwörtchen „Non“, das seit Wochen quer durch das Land plakatiert ist, schafft neue linke Allianzen. Nach den jüngsten Umfragen lehnen 53 bis 56 Prozent der Franzosen die EU-Verfassung ab. Langjährige politische GegenspielerInnen schaffen es – dank der liberalen EU – gemeinsam, die größten Veranstaltungssäle des Landes zu füllen.

Ihr Thema: die sozialen, politischen und militärischen Argumente gegen die EU-Verfassung. Ihr Stil: strenge Textanalyse der 448 Artikel der Verfassung. Ihr Versuch: der Angstkampagne der anderen Seite Aufklärung und Information entgegenzusetzen. Ihr Ziel: ein Sieg des Nein beim französischen Referendum und die Neuverhandlung über eine EU-Verfassung. Gegen den Widerstand fast aller Institutionen Frankreichs – von den großen Parteien über den Staatspräsidenten, die Regierung und die Spitze der großen Oppositionspartei PS bis hin zu den Medien – haben sie es geschafft, mehrheitsfähig zu werden.

6.000 Menschen versammelten sich am Donnerstagabend im Pariser Stadion „Zénith“, wo sonst Rockkonzerte und Radrennen stattfinden. Während Staatspräsident Jacques Chirac ein paar Kilometer entfernt mit „repräsentativen“ Jugendlichen über die EU-Verfassung diskutierte, feierten sie ihre Wiedervereinigung. Die KPF, Gastgeberin der Veranstaltung und einzige im französischen Parlament vertretene Partei, die geschlossen für ein Nein beim Referendum eintritt, hatte sämtliche SprecherInnen des Non aus dem Linken Spektrum eingeladen: von den TrotzkistInnen über Grüne und SozialistInnen bis hin zu GlobalisierungskritikerInnen, Gewerkschaften und Arbeitslosengruppen. Zwei „Überläufer“ von der Chirac-Veranstaltung erhielten besonderen Beifall. Die beiden jungen Männer aus linken Organisationen waren von der TV-Debatte ausgeschlossen worden – offiziell wegen des Männer-Frauen-Proporzes. Im Zénith erklärten sie ihr „Glück“, offen sagen zu dürfen, wie schlecht sie über die „liberale Verfassung“ denken.

Neu an dieser linken Bewegung ist nicht nur die breite Allianz, sondern auch die Positionierung gegenüber der Europäischen Union. Zahlreiche RednerInnen im Zénith erklärten, was in den vergangenen Wochen Standard in Frankreich geworden ist: „Wir sind für die EU. Und gegen diese Verfassung.“. Zum ersten Mal ist die EU nicht mehrheitlich mit nationalistischen GegnerInnen konfrontiert, sondern mit prinzipiellen BefürworterInnen, die ein bestimmtes Projekt ablehnen. Die Kritik richtet sich gegen fast alle Aspekte der EU-Verfassung: die unverständliche und widersprüchliche Form des Textes; die extremen wirtschaftlichen Detailregelungen, die, so der Sozialist Jean-Luc Mélenchon, an die „ideologische Festlegung in der Verfassung der Sowjetunion erinnern“; die Unausgewogenheit zwischen konkreten Regeln für den Markt und Wettbewerb und lediglich allgemeinen Absichtserklärungen für Soziales und Menschenrechte; die Unterordnung eines Teils der EU-Militärpolitik unter die Regeln der Nato; die Genese der Verfassung, die von einem – nirgends vom Volk gewählten und kontrollierten – Konvent verfasst wurde. Und die vordemokratischen Abläufe in der künftigen EU, wo einem zwar geringfügig gestärkten Parlament eine nicht vom Volk gewählte Kommission mit enormen Vollmachten gegenübersteht.

Im Zénith deklinieren die RednerInnen – von der KP-Chefin Marie-Georges Buffet bis hin zu dem Bauerngewerkschafter José Bové – die einzelnen Kritikpunkte. Manche wundern sich laut darüber, dass in den Nachbarländern so wenig über die Verfassung nachgedacht und diskutiert wird, die „für alle gelten soll“. Andere zeigen sich überzeugt davon, dass ein französisches Non notwendig sei, um die NachbarInnen aufzurütteln.