Emotional bewegt von Funkzellen

Handyortung Die umfangreiche Sammlung von Mobilfunkdaten durch die Polizei stößt im Netz auf scharfe Kritik. Einige Kommentatoren, die betroffen sind, kündigen Anfragen und Beschwerden an die Behörden an

■ Die Zahlen: Polizeichefin Margarete Koppers räumte im Innenausschuss ein, dass die Polizei seit 2008 zur Ermittlung von Autobrandstiftern 4,2 Millionen Handydaten angefragt hat. Dafür wurden bei Mobilfunkprovidern 375 Funkzellenabfragen gestellt. Dazu kamen 35 Abfragen wegen anderer politischer Straftaten. Zu 960 Nummern wurden Namen und Adressen festgestellt. Tatverdächtige wurden nicht ermittelt.

■ Der Auslöser: Am Donnerstag war eine Abfrage der Polizei von 13 Funkzellen um die Rigaer Straße bekannt geworden.

■ Der Nachzügler: Am Sonntag wurde ein weiterer Fall vom 17. Juni 2009 publik: Hier brannte ein Siemens-Auto in der Bänschstraße (Friedrichshain). Die Polizei forderte auch darauf die Daten von 13 Funkzellen der Umgebung an. (ko)

VON SEBASTIAN PUSCHNER

Vielleicht hatte Pirat Christopher Lauer diesen Kommentar auf netzpolitik.org gelesen, um sich für die Innenausschusssitzung am Montag in Fahrt zu bringen: „Die im entsprechenden Ausschuss sitzenden Piraten sind einfach zu träge und zurzeit außerdem mit der Erhöhung der Abgeordnetendiäten ausgelastet.“ Das Blog hatte vergangene Woche aufgedeckt, dass die Berliner Polizei bei Handyprovidern massenhaft Funkzellendaten abgefragt hatte, um Autobrandstiftern in Friedrichshain auf die Spur zu kommen. Die Nutzer des Blogs diskutierten daraufhin, inwieweit das Thema den Piraten im Abgeordnetenhaus Auftrieb verleihen könne.

Lauers Piraten-Kollege im Ausschuss, Fabio Reinhardt, bejaht das am Montag während der Sitzung live via Twitter: „Lauer redet sich in Rage, das kennt der Ausschuss nicht, dass Bürgerrechte emotional bewegen, nicht nur auf dem Papier.“

Indessen gilt das Lob der Kommentaren unter den Artikeln zum Thema auf netzpolitik.org meist deren Autoren: „Sehr gute Arbeit“, „dickes Lob“ und „gut recherchierter Artikel“ steht da – inmitten einer Diskussion über das Vorgehen der Sicherheitsbehörden. Die ist, im Gegensatz zu anderen Orten im Netz, ebenso kontrovers wie sachlich. „Wenn man bei zwei Autobränden in der Nähe ist, ist man dann nicht konkreter Verdächtiger einer konkreten Straftat? Ich finde schon“, schreibt Sumit. „Ich wohne in der Gegend, in der massiv abgefragt wurde. Also bin ich auch verdächtig, weil mein Handy zur fraglichen Zeit immer am Ort war. Ich könnt generell kotzen, wie die Unschuldsvermutung in unseren Tagen umgedreht wird“, antwortet RasLeemur.

Überhaupt melden sich viele zu Wort, die in der betroffenen Gegend weit um die Rigaer Straße zu wohnen behaupten. „Mein Brief mit der Datenanfrage und Beschwerde ist schon vorbereitet und wird morgen verschickt“, schreibt einer. Andere diskutieren, inwieweit es Handynutzern heute möglich ist, mit Prepaidkarten anonym und von den Datenerfassungen der Sicherheitsbehörden verschont zu bleiben. Sinnlos, meint Rainer: „Ich kann nur raten, seine Wanze (Handy) komplett abzuschaffen.“

„Ich kann nur raten, seine Wanze (Handy) abzuschaffen“

Rainer

Netzpolitiker der Grünen fordern währenddessen dazu auf, sich für die Sitzung des Bundestags-Rechtsausschusses am 8. Februar anzumelden. Dort steht das Thema Funkzellenabfrage auf der Tagesordnung. Sie dürften damit auf offene Ohren stoßen, denn das Gros derer, die sich online zum Thema positionieren, kritisieren die Speicherung der Daten von gänzlich Unbeteiligten bei ausbleibendem Erfolg der Ermittlungen. „Ohne Sinn und Verstand werden Grundrechte mit Füßen getreten“, schreibt John Doe.

Von der Speicherung Betroffene per SMS von ihrer Erfassung in Kenntnis zu setzen, diese Idee diskutiert das Netz genauso wie das Abgeordnetenhaus. SPD-Mann Sven Kohlmeier twittert seinen Vorschlag zur Umsetzung: „Wer kein Bock auf Streifendienst hat, darf 4,5 Millionen SMS verschicken … Das motiviert unsere Berliner Polizei.“

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