Grüner Wahlkampf gegen Hartz

Fünf Wochen vor der Landtagswahl fordert der linke Flügel der nordrhein-westfälischen Grünen mehr Geld für Langzeitarbeitslose. Die Landtagsfraktion aber denkt lieber über Chancengerechtigkeit nach

AUS DÜSSELDORFANDREAS WYPUTTA

Mitten im Wahlkampf fordern linke Grüne mehr Geld für Langzeitarbeitslose. Sowohl das Arbeitslosengeld II (ALG II) wie die Sozialhilfe müssten ein Niveau erreichen, „dass die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben ermöglicht“, so Nordrhein-Westfalens Umweltministerin Bärbel Höhn in Düsseldorf. Die derzeitige Sicherung eines Existenzminimums nur in materieller Hinsicht reiche nicht aus. „Wir müssen das ALG II weiterentwickeln, sagt auch Barbara Steffens, sozialpolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion. Die Höhe des Bedarfssatzes von nur 345 Euro monatlich sei „nie transparent hergeleitet“ worden und müsse „neu bewertet“ werden. „Es wird eine Anpassung geben müssen“, fordert Steffens.

Außerdem in der Kritik der Parteilinken stehen die Zumutbarkeitsklausel, die Menschen, die oft jahrzehntelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, nach nur einem Jahr erfolgloser Arbeitssuche zwingt, jeden nicht sittenwidrigen Job anzunehmen. Auch die Vermögensfreibeträge seien zu gering. Außerdem dürften die „Ein-Euro-Jobs nicht billige Arbeitsgelegenheiten, sondern eine Förderung zur Rückkehr in die Arbeit und Qualifizierung bedeuten“, sagte Höhn auf der von der grünen Landtagsfraktion veranstalteten Fachtagung „Soziale Gerechtigkeit – gleiche Chancen für alle“.

Die Praxis aber sieht völlig anders aus: Gerade die Billigjobs gefährden Arbeitsplätze, warnt etwa die stellvertretende DGB-Chefin Ursula Engelen-Käfer. So habe die Stadt Recklinghausen angekündigt, alle Sporthallen und -plätze nicht mehr von Handwerksfirmen, sondern durch Ein-Euro-Jobber sanieren zu lassen.

Die Hartz-Gesetze träfen die sozial Schwächsten wie Alleinerziehende, glaubt auch Marianne Hürten, frauenpolitische Sprecherin der Landtagsgrünen. Besonders die vor den Reformen oft unproblematisch gewährten Einmalzahlungen fehlten. „Da wird dann einfach kein Geld mehr für ein Kinderbett oder den Kinderwagen mehr bewilligt.“ Der im Paragraph 218 verankerte Schutz des werdenden Lebens werde so durch die Hintertür gekippt, klagt Hürten: „So werden wieder soziale Aspekte für eine Abtreibung relevant“ – während Verhütungsmittel vom geringen ALG II bezahlt werden müssen, übernehmen die Ämter problemlos die Kosten einer Abtreibung. „Auf Nachfrage ist dann von bedauerlichen Einzelfallentscheidungen die Rede“, ärgert sich die Abgeordnete, die nach 15 Jahren nicht mehr für den Landtag kandidiert. „Klar ist aber: Die Regelsätze von 345 Euro plus Wohnungskosten sind viel zu gering.“

Doch nur die wenigsten grünen Parlamentarier wollen so klar wie Hürten und Steffens formulieren. Ein zeitgleich zur Fachtagung veröffentlichter Fraktionsbeschluss mit dem Titel „Gerecht von Anfang an“ erwähnt die Höhe der aktuell geltenden Regelsätze mit keinem Wort. Stattdessen konzentriert sich dass Papier auf die Perspektive der Chancengerechtigkeit: „Eine neue Sicht von ‚sozialer (Un-)Gerechtigkeit umfasst aber nicht nur die ungleiche Verteilung materieller Güter und die damit verbundene Teilhabe am wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben“, heißt es. Nachhaltige Sozialpolitik bedeute, bei den Kindern anzusetzen (siehe Kasten).

Ob die Forderungen der Parteilinken so durchzusetzen sind, bleibt damit fraglich – vorsorglich verweist die Sozialpolitikerin Steffens darauf, dass Veränderungen Hartz-Gesetze nicht auf Landes-, sondern auf Bundesebene beschlossen werden müssen. Zwar einigte sich SPD-Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement am Freitag mit der CDU über verbesserte Zuverdienstmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose, doch scheint die mächtige nordrhein-westfälische SPD kein Interesse an einer erneuten Hartz-Diskussion zu haben: Trotz Nachfrage wollte das von SPD-Landeschef Harald Schartau geführte Landesministerium für Wirtschaft und Arbeit keine Stellung nehmen – die Sozialdemokraten, die im Wahlkampf die „totale Ökonomisierung der Gesellschaft“ geißeln, bleiben stumm.