nachruf
: „Selbstgespräche“ für den Betrachter: Bernhard Schultze (1915-2005)

Die kleine Kabinettausstellung mit nur 20 Arbeiten, die das Kölner Museum Ludwig gerade zeigt, sollte ein Geschenk zu seinem 90. Geburtstag sein. Unversehens wurde daraus eine Gedenkausstellung: Der Kölner Maler und Objektkünstler Bernhard Schultze, die Vaterfigur der gestisch-abstrakten Malerei, ist Ende vergangener Woche an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Nur wenige Wochen vor dem 31. Mai, an dem er hätte gefeiert werden sollen.

Als Schultze, der 1915 im pommerschen Schneidemühl geboren wurde und von 1934 bis 1939 in Berlin Kunst studierte, 1952 mit Karl Otto Götz, Otto Greis und Heinz Kreutz in Frankfurt die Gruppe „Quadriga“ gründete, zog nicht nur das damals aktuelle Informel in Deutschland ein. Die deutsche Kunstszene hatte damit auch wieder den Anschluss an die internationale Entwicklung gefunden, den die Nazis zerstört hatten. Schultzes Arbeiten – seine Vorkriegswerke verbrannten bei einem Bombenangriff – zeichneten sich durch die Einflüsse der Surrealisten, Tachisten und Existenzialisten aus, die er in seiner Pariser Zeit (bis 1968) kennen gelernt hatte. Er hatte jedoch schnell seine eigene Bildsprache gefunden. In dicht neben einander liegenden Pinselstrichen, parallel oder kleine Wirbel, brachte er die Farbe auf die Leinwand. Die kleinen Flächen sind dabei äußerst differenziert ausgestaltet. Im Wechsel der Farben und Strukturen, von transparent und opak, von schmutzig und leuchtend, bauen diese Farbflächen Räume von schier unendlicher Tiefe auf.

Ab 1956 schuf er Reliefbilder mit Draht und Stoff, die sich buchstäblich in den Raum hinein arbeiteten. Schultzes Thema ist die Natur, ihr Werden und Vergehen. In seinen Bildern lassen sich geheimnisvolle Fabelwesen entdecken: Hexen, Waldgeister, Elfen. Einigen gab Schultze auch einen Namen: „Migofs“ nannte er die Kreuzung aus Mensch, Tier und Pflanze und ließ sie als große Skulpturen lebendig werden.

„Eine Wirrnis von Eindrücken nimmt Gestalt an“ heißt eine der Zeichnungen, die derzeit im Kölner Museum zu sehen sind. Der Titel ist programmatisch für Schultzes Arbeitsweise, die er selber einmal so beschrieb: „Ich beginne willkürlich, kralle mich in die Leere hinein und entwickle die Bilder wie eine Expedition ins Unbekannte. Ich male meine inneren Landschaften – natürlich mit Assoziationen. Dann drehe ich das Bild auf den Kopf und male weiter. Zurücktreten kann ich nicht, denn mein Atelier ist klein. Ich lasse mich treiben unter dem Diktat des Unbewussten. Dann kommt der wichtigste Schritt: das Bild zum Kunstwerk machen. Wann ist es fertig? Manchmal vergaloppiere ich mich auch, aber ich finde immer wieder den richtigen Faden.“

Erst wenn das Bild fertig war, erhielt es den Titel. Der offenbart, was Schultze gerade durch den Kopf ging. So lässt er den Betrachter an seinem „Selbstgespräch“ teilhaben. Doch wollte er mit diesen Titeln dessen Phantasie anregen, nie aber eine Richtung vorschreiben. Vielleicht ziehen sie gerade daraus ihre Faszination. JÜRGEN SCHÖN