„Kein Lösungsmodell“

Vortrag über Mikrokredite: Geschäft mit der Armut

■ 44, Journalist. Er recherchierte 2010 in Bangladesh über Mikrokredite und schrieb das Buch „Die Mikrofinanz-Industrie“.

taz: Herr Klas, Mikrokredite gibt es seit über 25 Jahren. Warum klären Sie jetzt über sie auf?

Gerhard Klas: Es war ein schleichender Prozess, die Folgen traten erst langsam zu Tage. Man hat zunächst nur auf die Rückzahlungsquote geschaut – wie die Schuldner und Schuldnerinnen ihre Raten aufbrachten, spielte dabei keine Rolle. Heute sind von den 150 Millionen Menschen in Bangladesh über 30 Millionen bei mindestens einem Finanzinstitut verschuldet.

Wie hoch sind die Zinsen der Kredite?

Der durchschnittliche Zinssatz lag 2008 weltweit bei 35 Prozent. Selbst bei der Grameen Bank, die als eine der günstigsten Geberinnen gilt, nimmt man 20 Prozent.

Wie vielen gelingt der Sprung aus der Armut?

Fünf bis zehn Prozent. 40 Prozent stagnieren, allerdings in einer hohen Abhängigkeit zu den Geldgebern, und weitere 50 Prozent überschulden sich durch die exorbitante Verzinsung, landen bei weiteren Geldverleihern, und stürzen noch tiefer in die Armut.

Ein Teufelskreis.

Genau. Es ist kein Lösungsmodell, sondern der Versuch, unser westliches Wirtschaftssystem auch in diesen Ländern zu implementieren. Es ist ein selbst-referenzielles System, das Fehler nicht bei sich selbst sucht.

Die Wucherzinsen sind das Problem?

Das ist die Spitze des Eisbergs. Der Mikrofinanz-Hype verdrängt andere Lösungsansätze. Es wird so getan, als könnte man die Armut in der Welt bekämpfen, ohne dass man das Vermögen der Reichen anzapft. Dabei ist Umverteilung eine Grundvoraussetzung, um soziale Missstände in der Welt anzugehen. INTERVIEW: EFK

Die Mikrofinanz-Industrie, 19.30 Uhr in der W3, Nernstweg 32-34