In der Pyjama-Hölle

DEUTSCHES THEATER Material für einen sentimentalen Popsong: Rafael Sanchez verlegt Thomas Vinterbergs Stück „Die Kommune“ in eine WG von heute

Was ist übrig geblieben von der früheren utopischen Idee des politisch motivierten, basisdemokratischen Zusammenlebens? In den 1970ern, so erinnert sich der Filmemacher und Stückeschreiber Thomas Vinterberg an seine Kindheit in der Kommune, begegneten einem dort nackte Frauen auf dem Flur, und in der Küche diskutierte man über Vietnam. So beschreibt er es jedenfalls in seinem Stück „Die Kommune“. Mit dem Ensemble des Wiener Burgtheaters hat er den Text entwickelt und ihn dort vergangenes Jahr im 70er-Jahre-Setting aufgeführt.

Anders jetzt in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, wo Rafael Sanchez inszeniert. Er verlegt das Stück in eine heutige Wohngemeinschaft und gibt dem Ensemble Raum zur Improvisation. Mit Kommunen, erklärt Sanchez im Theatermagazin, habe er nichts am Hut: „Welcher normale Mensch lässt sich heute noch auf so was ein?“ Kein Wunder also, dass das Stück entpolitisiert und von Flower-Power-Idealen befreit wird. Zwar werden Entscheidungen durch Mehrheitsabstimmungen getroffen, aber das hat eher praktische Gründe als ideelle. Was Sanchez interessiert, ist die Kluft zwischen der Sehnsucht nach dem Schutz in der Gemeinschaft und der Suche nach individuellem Glück.

Beides schließt sich aus, jedenfalls bei Erek. Als er das Haus seines Vaters erbt, zieht er nicht nur mit Frau und Tochter ein, sondern öffnet es für ein weiteres Paar und mehrere Singles. Erst als er sich in seine Studentin Emma verliebt, beginnt das Dilemma. Gemeinschaftsideale sind in den Wind geschrieben – wer das Haus besitzt, der hat das Sagen. Emma zieht ein, und wem das nicht passt, der kann gehen. So auch letztlich Anna, die verlassene Ehefrau. Vinterberg, dem mit seiner Familientragödie „Das Fest“ ein spannungsvoller Dogma-Film gelungen ist, hat hier eine erstaunlich schlichte und absehbare Geschichte erdacht. Ohne das historische Kommunenumfeld bleibt das ein beliebiger Dreiecksplot.

Auf der Bühne wirkt das sehr statisch. Von Beginn an sitzen alle WGler im Pyjama an einem langen Tisch, essen Croissants, kratzen Nutella-Gläser aus, rauchen und lesen Zeitung. Matthias Neukirch gibt Erek als charmanten Macho, der wie Jesus beim letzten Abendmahl zwischen seinen Jüngern sitzt. „California Dreaming“ singt die WG dazu, der Pianist Cornelius Borgolte steuert den Soundtrack bei,weitere Klassiker folgen.

Es gibt durchaus witzige Momente: Wenn Erek die drögen Vegetarier Steffen und Ditte todernst fragt, ob sie denn Dinge einkaufen können, die sie gar nicht essen. Auch Susanne Wolff ist als begriffsstutzige Zicke Mona mit Bad-Hair-Day unterhaltsam. Aber das endlose Essgelage ohne Szenenwechsel führt zu viel Geschwafel und wenig Spiel. Vielleicht hätte man den pointenreichen Text Vinterbergs eher in den schrillen Boulevard spielen sollen – doch Sanchez hat alles gestrichen, was in diese Richtung geht, sogar die nackten Frauen.

Er setzt mehr auf Rührung als auf Belustigung. Aber erst wenn Felicitas Madl als Tochter Freja den Joghurt auf den Boden knallt, ihrem Vater den Hass entgegenschreit und die Mutter zum Auszug auffordert, wird der Konflikt emotional greifbar.

Judith Hofmann in der Rolle der betrogenen Anna bleibt seltsam verhangen. Am Ende singt sie von Christiane Rösinger: „Bist du einmal traurig und allein, gewöhn dich dran, es wird bald immer so sein.“

Das ist schon anrührend, aber auch ziemlich sentimental.

BARBARA BEHRENDT

■ Wieder am 4. Februar