LESERINNENBRIEFE
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Es wird über Streik geredet

■ betr.: „Rumänien: Protest gegen Sparpolitik“, taz vom 17. 1. 12

Ich lebe gerade für ein Jahr in einer Arbeiterstadt im Norden Rumäniens und bekomme so viel vom Leben und den Reaktionen der Menschen hier mit. Für sie sind diese Proteste eine große Sache. Selbst hier, wo sonst der Hund begraben liegt, gehen die Menschen auf die Straße und es wird sogar über Streiks geredet. Für viele ist es das erste Mal seit gut zwanzig Jahren, dass sie sich gegen ihre Regierung wehren. Es stehen nicht alle für sinnvolle Ziele, aber es ist ein Anfang. Wie es hier aussieht, können sich die Deutschen bei weitem nicht vorstellen. Viele Vorurteile werden bestätigt. Man sieht schnüffelnde Kinder auf der Straße, von allen geduldet, man sieht zum Trocknen aufgehängte Wäsche vor heruntergekommenen, eigentlich unbewohnbaren Häusern, hört von Korruption und Unterschlagungen. Erst im Dezember erschien in der taz ein Artikel über die vielen arbeitslosen Bergarbeiter. Dass dieses Land in der EU ist, kann man oft nicht glauben. VERONIKA VOGEL, Berlin

Mörderische Dynamik

■ betr.: „Im Zuge der Endlösungsvorhaben“, taz vom 20. 1. 12

Klaus Hillenbrand irrt: Der systematische Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden entzieht sich nicht der Vergleichbarkeit, wie er kategorisch betont. Was sich verbietet, ist die Gleichsetzung des Holocausts mit anderen Genoziden bis hinein in unsere Gegenwart. Aber auch das ist etwas anderes, als zu „analogisieren“, wie er meint. Gerade erst mit dem Mittel der vergleichenden Analyse kann man die Einzigartigkeit des Holocaust erfassen. Mit dem gleichen Mittel lassen sich allerdings auch wesentliche seiner Charakteristika bestimmen, die als mörderische Potenziale im modernen Kapitalismus bis heute angelegt sind. Auf zwei dieser grundlegenden Elemente sei hier kurz hingewiesen: Den „Machern des Holocaust“ war ein Denken eigen, in dem die planmäßige Tötung ganzer Bevölkerungsgruppen den Stellenwert eines opportunen Mittels zur Durchsetzung der eigenen Zielstellungen besaß. Der einmal geplante Genozid wurde spätestens nach der Wannseekonferenz mittels der modernsten zur Verfügung stehenden Technik und Technologie realisiert. Der Hinweis auf beide grundlegenden Charakteristika reicht zweifelsohne noch lange nicht aus, um das Wesen des Massenmordes an den europäischen Jüdinnen und Juden hinreichend zu erklären. Man sollte sich ihrer allerdings immer mal wieder erinnern, um die mörderische Dynamik gegenwärtiger Prozesse zu verstehen. ALF ZACHÄUS, Halle an der Saale

Da helfen keine Sonntagsreden

■ betr.: „Unfassbare Mörder“, taz vom 23. 1. 12

Seit die NPD 1966 in München in den Landtag einzog, konnte man das Treiben der Neonazis nicht mehr ignorieren. Ich war damals in Hannover als Lehrling auf etlichen Demonstrationen gegen diesen braunen Spuk und habe öfters mit Wasserwerfern und Polizeiknüppeln Bekanntschaft gemacht. Nichts wurde von den Verfassungsschützern und polizeilichen Staatsschutzorganen gegen diese „braunen“ Herrschaften und fremdenfeindlichen Hetzer unternommen. Vielmehr führt eine gerade Linie von Hoyerswerda und Mölln zum Nazi-Terror der Bande um Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Die Richtung, die der Verfassungsschutz verfolgt hat, war immer auf der linken Seite, das waren Bürgerinitiativen, Jugendzentren, Graswurzelbewegungen und Menschen, die eigentlich den Schutz unseres Staates brauchten, weil sie in ihrer Heimat verfolgt wurden. Unsere Staatsorgane haben bis heute kein rechtes Auge. Nur eins aus Glas, das sie blind gegenüber einer Polizei macht, die den qualvollen Tod eines Menschen deckt, und Behörden, die Menschen abschiebt, die vor den Terror-Regimen ihrer Heimat geflohen sind. Da helfen keine Sonntagsreden. Nicht die Strukturen des Staates sind in Ordnung, sondern die Zivilcourage der Bürger, die solche Strukturen anprangern und den scheinheiligen Politikern die rote Karte zeigen.

JOHANNES SPARK, Bremen